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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 69.1931-1932

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M., W.: Solidarität mit der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7203#0026

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SOLIDARITÄT MIT DER KUNST

Es sollte eine Solidarität aller geistig lebenden
Menschen mit der Kunst geben. Es sollte
diese Solidarität zu jedem Zeitpunkt und an
jedem Orte geben — sei es auch nur deswegen,
weil die Kunst ein Erkenntnismittel allerersten
Ranges ist: ein Mittel zur Erkenntnis der jeweils
wahren Lage des Lebens; der geistigen Kraft-
reserven, die das Betriebskapital unsres Daseins
bilden. Kunstfreude — ja, das ist das Höchste.
Aber Freude kann die Hauptspende der Kunst
nur in relativ befriedeten, ausgeglichenen Zeiten
sein. Wahrheit dagegen zeigt sie immer. Die
Kunst ist immer das direkteste und das lesbarste
Zeichen für die Intensität und Art der Spann-
ungen, die zwischen dem Menschen und der Welt,
zwischen Geist und Wirklichkeit bestehen. Man
muß das Wort der Kunst lesen lernen. Hat man
seine Zeichensprache erfaßt, so sieht man in ihm
immer die seelische Wirklichkeit der betreffenden
Zeit ausgedrückt, mit blendender Klarheit. Was
ist der Mensch ohne diese Zeichen und Winke,
die ihm geistige Klarheit geben? Die Kunst ist
die fortlaufende Bilanz und Rechnungslegung
über die Lebenskräfte oben und unten — und
es ist durchaus nicht Willkür, daß man nicht nur

von romantischer Malerei, sondern auch von ro-
mantischer Staatslehre, romantischer Medizin, ro-
mantischer Volkswirtschaft und in ähnlicher Über-
tragung von klassischer Physik, von impressioni-
stischer Philosophie, von expressionistischer Psy-
chologie redet. Indem hier Klassifizierungen, die
auf dem Boden der Kunst entstanden sind, auf
alle möglichen Lebens- und Forschungsgebiete
angewendet werden, gibt sich die Einsicht kund,
daß das Treibende und Wirkende, das sich
zuerst im Kunstschaffen klar herausstellt, zu-
gleich das Führende und Bestimmende in den
übrigen Lebensbereichen ist. Man kennt das
wirkliche Leben eigentlicher und tiefer, wenn
man die Formeln der zugehörigen Kunst erfaßt
hat. Und daraufbaut sich dann die zweite, die
tiefere Kunstfreude auf, die gerade in pro-
blematischen Zeiten so reich fließen kann: die
Freude am Erkennen durch das Mittel der Kunst.
Es ist eine Freude, die auf echterem Grunde
ruht als das bloße geschmackliche Augenerlebnis,
dessen Grundlagen sich jeden Tag verschieben
können —■ und Wahrheit steht zur Schönheit
immer noch in jener tiefen Beziehung, von der
Schiller in den „Künstlern" spricht...... w. m.

LOVIS CORINTH. GEMÄLDE »MEERESBRANDUNG « 1912
 
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