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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 69.1931-1932

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Keim, Heinrich Wilhelm: Bühnenbild - Bühnenarchitektur: Erziehung zur Bühnenraumkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7203#0367

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359

SCHÜLERARBEIT DÜSSELDORF

»DEKORATION ZU ÖD1PUS«

BUHNENBILD —BUHNENARCHITEKTUR

ERZIEHUNG ZUR BÜHNENRAUMKUNST

Cs hat Jahrhunderte gedauert, bis der Bühnen-
L bildner von der Vorstellung sich befreien
konnte, das Bühnenbild sei ein malerisches
Flächengebilde, das sich schichtweise im Raum
hintereinander aufbaut und so im Einzelnen und
im Gesamten den räumlichen Eindruck aufhebt.
Von denBibienas am Ende des 17. Jahrhunderts
bis in die Zeit der Stilbühne im Anfang des
20. hatte man, mit der kurzen Unterbrechung
des Klassizismus, diese Einstellung: nicht den
gegebenen Bühnenraum architektonisch zurBüh-
nenarchitektur auszubauen, sondern auf per-
spektivisch bemalten Flächen einen Raum vor-
zutäuschen oder ihn durch eine geschlossene,
farbig neutrale Frontfläche aufzuheben. Es blieb
Adolphe Appia und Gordon Craig vorbehalten,
hier wieder Klarheit zu schaffen und dem Büh-
nenbildner seine Aufgabe nach den ihm ge-
gebenen Elementen zu stellen. Heute hat sich
das „moderne", d. h. das architektonisch auf-
gefaßte und gearbeiteteBühnenbild allenthalben
durchgesetzt.

Der neue Bühnenbildner bedarf einer künst-
lerischen Erziehung, so wie der Architekt, der
Maler, der Bildhauer einer solchen nicht ent-
raten kann, selbst wenn er als Genie geboren
ist. Und die Aufgaben, die er zu bewältigen hat,
sind besonders verwickelt und schwierig; denn
sie wenden sich an verschiedene künstlerische
und geistige Fähigkeiten. Der Bühnenbildner

hat zunächst den ungestalteten Raum des Büh-
nenhauses als Baugelände. In ihm hat sich das
architektonische Gebilde zu erheben, das den
Raum, die räumlichen Kräfte der Höhe, Breite
und Tiefe sichtbar macht. Doch diese Formung
vollzieht sich nicht willkürlich. Sie darf nicht
dem ungebundenen Willen zur Raumgestaltung
entspringen, sondern ist, wie fast alle Archi-
tektur, zweckmäßig bestimmt.

Das Bühnenraumbild soll dem Schauspieler
zum Spielplatz dienen. Aber nicht nur das.
Es soll seine Spielfreudigkeit entfesseln und
steigern, indem es seine Verwandlungskräfte,
seine Fähigkeiten, sich aus sich selbst heraus-
zustellen, belebt und seine dynamischen Ener-
gien durch Kurven, Steigungen, Rundgebilde
herausfordert. Es führt ihn aus dem unbelebten
Alltagsraum in den durch die Kunst zum Leben
und zur Belebung erweckten Idealraum. Daß
der Russe in diesem Schwingen verleihenden
Medium zu tanzen begann, beweist mehr als
alle Worte, welche Kräfte ein so gestalteter
Bühnenraum im Schauspieler zu lösen vermag.
Er wird vom Schau-Sprecher wahrhaftig zum
Schau-Spieler. Er beschwert seine Schaffens-
kräfte nicht mit dem Vorbild äußerer Wirklich-
keit, sondern befreit sie in der Verwirklichung
seiner Phantasie.

Doch die Russen gingen unter Tairoff einen
Schritt zu weit und bedrohten damit das Werk
 
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