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ZWEI KRIEGEREHRUNGEN VON PAUL RÖSSLER
VON DR. GEORG PAECH
Dippoldiswalde ist ein kleines bescheidenes
Städtchen im sächsischen Erzgebirge un-
weit der böhmischen Grenze. Die Schweden
haben es zerstört. Vorher hatten es die Hussiten
in Flammen aufgehen lassen. In allen Stürmen
blieb eine kleine Friedhofskirche, St. Nikolaus
zugeeignet, stehen, weil sie Mauern über einen
Meter dick hatte.
In dem einen Seitenschiff dieser halb roma-
nischen Kapelle sollte gleichsam als linker Seiten-
altar eine Kriegerehrung angebracht werden.
Mehrere hundert Namen aus fünf Kirchdörfern
waren in künstlerische Form zu gießen. Die Eigen-
willigkeit der Architektur in einem breit behä-
bigen Pilastersims gab für die Stirnwand, an die
der Schrein kommen sollte, sofort die nicht zu
umgehende Dimensionierung der Schreinhöhe an.
In der Wahl der Breite war Paul Rößler auch
durch die Maße der Wand bedingt. Seine Kunst
war es, diese Zwangsläufigkeit nach außen nicht
in Erscheinung treten zu lassen und die 300
Namen dem menschlich interessierten Laien deut-
lich und dem künstlerisch wertenden Betrachter
in nobler Form vor Augen zu führen.
Die Kirche ist grau. Barbarische Anstreiche-
reien über alten gotischen Fresken und kalte
nüchterne Rankenornamente aus Musterbüchern
der achtziger Jahre hat man so gut wie vollstän-
dig entfernt. Farbig hervorgehoben ist nur der
Altar. Ihm hilft nun der Schrein, die Farbe so-
weit wirken zu lassen, als es die sakrale Haltung
einer so strengen frühgotischen Kirche für unser
Empfinden verträgt. Die Schrift steht golden auf
matt schwarzem Grund. Paul Rößler hat die
Flügel des Deckels und die Wände des etwa
fünfzehn Zentimeter tiefen Kastens mit einem
dünnen Streifen in lichtem Blau und hellem Lachs-
rot abgesetzt. Das tiefe Schwarz und Gold der
Schrift und die zarten Temperatöne des Jesus-
körpers, die matt gegen das leuchtende Gesso-
relief des Goldes der Mutter Gottes stehen, kon-
trastieren. Die einen wirken schwer. Die andern
geben dem Werk den Hauch einer Verklärung.
Sie lösen das allzu Schwere.
In den Vorkriegs jähren hat Paul Rößler in der
alten Stadtkirche von Chemnitz, der Jakobi-
kirche, die Glasfenster hinter dem Altar gear-
beitet. So war es selbstverständlich, daß er die
Kriegerehrung für die 400 Toten der Stadt in
einem rechten Seitenfenster des Altarplatzes
ebenfalls übernahm. Die Altarfenster in Antik-
glas — die Zeit des Opaleszentglases war damals
kaum vorbei — breiten sich wie ein schöner
stiller Teppich mit sattem Grün als Dominante
hinter dem Altar aus. Ganz anders die Krieger-
ehrung. Dieses acht Meter hohe Fenster mit sei-
nem flammenden Rot wirkt wie eine Explosion.
Eine große Tafel unter ihm an der Wand, durch
plastische Goldstreifen in sieben schmale Verti-
kalbänder zerlegt, trägt auch hier wieder die
Namen in goldener Schrift auf schwarzem Grund.
Darüber steigt das Fenster in die Höhe. Die Quer-
versteifung hat Paul Rößler in freier Anlehnung
an die stetige Skala des goldenen Schnittes der
alten Meister des dreizehnten Jahrhunderts auch
zur Unterteilung der ganzen Höhe benützt. Und
zwar in drei Bildgruppen. Unten das Profane:
der Auszug ins Feld, der Dienst am Verwunde-
ten und das Begräbnis, einfach graugrün im Ton.
Dann bis zur Höhe des untersten Drittels eine
Pieta. Eine Mutter hält ihren toten Sohn. In die-
sem Feld sind in grauem Grund, in der dunklen
Modellierung des Schwarzlotes und des Blei-
konturs schon einzelne leuchtende blaugrün,
violett und gelbe Edelsteinpunkte der Farbe ein-
gebettet. Darüber steigt bis oben hinauf über
vier Meter hoch eine graue kalte Jesusfigur mit
tief dunklen roten Blutpunkten unter der Dor-
nenkrone und am Körper. Dieser Kruzifixus wirft
die Arme hoch wie einen gellenden Aufschrei,
der in Flammen gebadet ist. Tiefes Rubinrot,
leuchtendes Feuer bis zur Glut eines orangegel-
ben Abendbrandes umflammen den graugrünen
Körper und den Kopf, der voller Entsetzen ist.
Die Farben treten vor und zurück. Zerreißen die
Fläche, formen plastisch den Raum so visionär,
daß man ihn auch ohne expansive Bewegung
fühlt. Die Glasmalerei verliert das Dekorative.
Sie formt das Licht, diese transsubstantiellste
aller Energien, vom schwarzen Violett bis zum
Zitronengelb und leuchtenden Weiß.
Mehr als beim Fresko ist der Glasmaler auf
das Ganze eingestellt, dem jedes kleine Scheib-
chen zu dienen hat. Hier kommt es auf die Ner-
ven an. Und Entwurf und Ausführung teilen,
heißt die Arbeit belanglos werden lassen. Die
Farbberechnung im Ganzen, Organisation ihrer
Bewegung, Obacht auf Untersicht und die Blei-
netzanordnung mögen noch vom Handwerker dem
Karton richtig nachgebildet werden. Aber das
Ätzen des Überfangs, die Silberdosierung, der
Samt der Schwarzlotmodellierung, Lasurscheiben
und die Genauigkeit der Scheibenwahl erfordern
den Künstler, nicht den nüchternen Fachmann. .
ZWEI KRIEGEREHRUNGEN VON PAUL RÖSSLER
VON DR. GEORG PAECH
Dippoldiswalde ist ein kleines bescheidenes
Städtchen im sächsischen Erzgebirge un-
weit der böhmischen Grenze. Die Schweden
haben es zerstört. Vorher hatten es die Hussiten
in Flammen aufgehen lassen. In allen Stürmen
blieb eine kleine Friedhofskirche, St. Nikolaus
zugeeignet, stehen, weil sie Mauern über einen
Meter dick hatte.
In dem einen Seitenschiff dieser halb roma-
nischen Kapelle sollte gleichsam als linker Seiten-
altar eine Kriegerehrung angebracht werden.
Mehrere hundert Namen aus fünf Kirchdörfern
waren in künstlerische Form zu gießen. Die Eigen-
willigkeit der Architektur in einem breit behä-
bigen Pilastersims gab für die Stirnwand, an die
der Schrein kommen sollte, sofort die nicht zu
umgehende Dimensionierung der Schreinhöhe an.
In der Wahl der Breite war Paul Rößler auch
durch die Maße der Wand bedingt. Seine Kunst
war es, diese Zwangsläufigkeit nach außen nicht
in Erscheinung treten zu lassen und die 300
Namen dem menschlich interessierten Laien deut-
lich und dem künstlerisch wertenden Betrachter
in nobler Form vor Augen zu führen.
Die Kirche ist grau. Barbarische Anstreiche-
reien über alten gotischen Fresken und kalte
nüchterne Rankenornamente aus Musterbüchern
der achtziger Jahre hat man so gut wie vollstän-
dig entfernt. Farbig hervorgehoben ist nur der
Altar. Ihm hilft nun der Schrein, die Farbe so-
weit wirken zu lassen, als es die sakrale Haltung
einer so strengen frühgotischen Kirche für unser
Empfinden verträgt. Die Schrift steht golden auf
matt schwarzem Grund. Paul Rößler hat die
Flügel des Deckels und die Wände des etwa
fünfzehn Zentimeter tiefen Kastens mit einem
dünnen Streifen in lichtem Blau und hellem Lachs-
rot abgesetzt. Das tiefe Schwarz und Gold der
Schrift und die zarten Temperatöne des Jesus-
körpers, die matt gegen das leuchtende Gesso-
relief des Goldes der Mutter Gottes stehen, kon-
trastieren. Die einen wirken schwer. Die andern
geben dem Werk den Hauch einer Verklärung.
Sie lösen das allzu Schwere.
In den Vorkriegs jähren hat Paul Rößler in der
alten Stadtkirche von Chemnitz, der Jakobi-
kirche, die Glasfenster hinter dem Altar gear-
beitet. So war es selbstverständlich, daß er die
Kriegerehrung für die 400 Toten der Stadt in
einem rechten Seitenfenster des Altarplatzes
ebenfalls übernahm. Die Altarfenster in Antik-
glas — die Zeit des Opaleszentglases war damals
kaum vorbei — breiten sich wie ein schöner
stiller Teppich mit sattem Grün als Dominante
hinter dem Altar aus. Ganz anders die Krieger-
ehrung. Dieses acht Meter hohe Fenster mit sei-
nem flammenden Rot wirkt wie eine Explosion.
Eine große Tafel unter ihm an der Wand, durch
plastische Goldstreifen in sieben schmale Verti-
kalbänder zerlegt, trägt auch hier wieder die
Namen in goldener Schrift auf schwarzem Grund.
Darüber steigt das Fenster in die Höhe. Die Quer-
versteifung hat Paul Rößler in freier Anlehnung
an die stetige Skala des goldenen Schnittes der
alten Meister des dreizehnten Jahrhunderts auch
zur Unterteilung der ganzen Höhe benützt. Und
zwar in drei Bildgruppen. Unten das Profane:
der Auszug ins Feld, der Dienst am Verwunde-
ten und das Begräbnis, einfach graugrün im Ton.
Dann bis zur Höhe des untersten Drittels eine
Pieta. Eine Mutter hält ihren toten Sohn. In die-
sem Feld sind in grauem Grund, in der dunklen
Modellierung des Schwarzlotes und des Blei-
konturs schon einzelne leuchtende blaugrün,
violett und gelbe Edelsteinpunkte der Farbe ein-
gebettet. Darüber steigt bis oben hinauf über
vier Meter hoch eine graue kalte Jesusfigur mit
tief dunklen roten Blutpunkten unter der Dor-
nenkrone und am Körper. Dieser Kruzifixus wirft
die Arme hoch wie einen gellenden Aufschrei,
der in Flammen gebadet ist. Tiefes Rubinrot,
leuchtendes Feuer bis zur Glut eines orangegel-
ben Abendbrandes umflammen den graugrünen
Körper und den Kopf, der voller Entsetzen ist.
Die Farben treten vor und zurück. Zerreißen die
Fläche, formen plastisch den Raum so visionär,
daß man ihn auch ohne expansive Bewegung
fühlt. Die Glasmalerei verliert das Dekorative.
Sie formt das Licht, diese transsubstantiellste
aller Energien, vom schwarzen Violett bis zum
Zitronengelb und leuchtenden Weiß.
Mehr als beim Fresko ist der Glasmaler auf
das Ganze eingestellt, dem jedes kleine Scheib-
chen zu dienen hat. Hier kommt es auf die Ner-
ven an. Und Entwurf und Ausführung teilen,
heißt die Arbeit belanglos werden lassen. Die
Farbberechnung im Ganzen, Organisation ihrer
Bewegung, Obacht auf Untersicht und die Blei-
netzanordnung mögen noch vom Handwerker dem
Karton richtig nachgebildet werden. Aber das
Ätzen des Überfangs, die Silberdosierung, der
Samt der Schwarzlotmodellierung, Lasurscheiben
und die Genauigkeit der Scheibenwahl erfordern
den Künstler, nicht den nüchternen Fachmann. .