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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 69.1931-1932

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Bommer, Sigwald: Kunst und gegenwärtige Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7203#0093

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85

FERNAND LEGER—PARIS

»DREI FRAUEN MIT BLUMEN«

KUNST UND GEGENWÄRTIGE ZEIT

VON SIGWALD EOMMER

Von jeher, solange Künstlerisches von Men-
schenhand geschaffen wird, waren Kunst und
Zeit sich durchdringende und gestaltende Kräfte.
Beide beeinflussen sich fortwährend und geben
sich auf dem Weg durch den Künstler gegenseitig
Form und Inhalt.

Um zu erfahren, welche Bewandtnis es mit
der gegenwärtigen Zeit hat, ist Kunst die beste
Führerin. Weder Technik noch Wissenschaft
noch irgend eine andere Äußerung menschlichen
Geistes vermögen hierin das gleiche an Wert zu
vermitteln. Ihnen allen fehlt jenes tiefe Fühlen
und Erleiden der Zeit, welche des Künstlers Not
bedeuten und seinen Werken vorausgehen.

So betrachtet, gewinnen die Werke der Kunst
ein neues, bisher unbekanntes Gesicht. Es sind
gemeinsame, irgendwie ähnliche Züge im Aus-
druck der Kunstwerke einer bestimmten Zeit, die
nun auffallen. Falsch und abwegig wäre es, wollte
man daraus auf das Denken vergangenerZeiten
Schlüsse ziehen. Wir täuschen uns, wenn wir
glauben, wir könnten allzutief in das Seelenleben
früherer Jahrhunderte eindringen. Um aber
unsere Zeit besser zu verstehen, können die

Werke der jüngst verflossenen und der jetzigen
Tage wertvoll sein. Ihr Gemeinsames ist das,
was im Grunde uns alle bewegt, ängstigt und
hoffen macht, uns lebende Menschen der gegen-
wärtigen Zeit.

Ist es eine kranke Zeit, in der wir leben? Sind
wir überaltert, Endwesen einer großen Kultur?
Geht es zum Sterben des abendländischen, und
damit auch des deutschen Menschen? — Vor-
gefühle davon sind in den Bildern des Impressio-
nismus zu finden. Eine leise, resignierte Trauer
spricht aus vielen von ihnen, mögen sie auch
vom flimmernden Licht der Sonne überflutet
sein. Es ist ein Auflösungsprozeß, der hier vor-
ausgeahnt und gestaltet wird. Der Mensch, der
hier gesehen und erlebt hat, ist müde und ohne
Hoffnung. Ihm verschwimmen die Grenzen. Die
Dinge um ihn her lösen sich auf und zerfließen
im All.

Diesem Ahnen von Vernichtung und Sterben
gesellt sich das Gefühl, daß Handeln zwecklos
sei. Dem Menschen ist ein Schicksal angeboren;
das muß er erleiden. Sinnlos ist der Versuch, ihm
zu helfen. Licht und Farbe werden von den Augen
 
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