Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 69.1931-1932

DOI Artikel:
Nemitz, Fritz: Staat und Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7203#0311

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
303

STAAT UND KUNST

VON DR. FRITZ NEMITZ

Als der alte Staat zusammenbrach, bestand
über die kulturelle Aufgabe des neuen fol-
gende Auffassung: „Der Staat ist seinem Wesen
nach kunstfeindlich. Das Volk ist kunsttragend,
weil es lebendig ist. Der Staat ist eine Ma-
schinerie, also unlebendig. Er kann keine Be-
ziehung zur Kunst haben. Wir wollen uns des-
halb um den Staat überhaupt nicht kümmern."
(Adolf Behne in den Stimmen des Arbeiter-
rates für Kunst, November 1918.) Diese Theorie
vom kunstfeindlichen Staat überrascht um so
mehr, als sie in einem Augenblick aufgestellt
wurde, in dem die Staatsgewalt in den Händen
des Volkes lag. Aber abgesehen davon ist die
Lehre vom kunstfeindlichen Staat unhaltbar.
Ein solcher Staat würde sich selbst aufheben.
Politik und Kulturpolitik stehen in nahezu un-
löslicher Wechselwirkung. Gewiß, zwischen den
staatlichen Tendenzen und den künstlerischen
werden meist Spannungen und Gegensätze be-
stehen; aber diese innere Antinomie zwischen
beiden Mächten, die im letzten unaufhebbar ist,
hat polare Struktur. Sie stehen sich nicht gegen-
über wie zwei wohlgeschiedene Mächte, son-
dern in funktionaler Bezogenheit, in schick-
salshafter Verflechtung. Für das Gedeihen der
Kunst sind Gebaren und Haltung des Staates
nichts weniger als gleichgültig. Das Wie der
Handhabung staatlicher Gewalt, das Ethos, das
ihn erfüllt, ist auch mitbestimmend für das Was
der geistigen und künstlerischen Gehalte, die
unter ihm heranwachsen.

Die kulturpolitischen Aufgaben des neuen
Staates sind durch die Reichsverfassung er-
weitert worden. Das ist äußerlich schon durch
die Umwandlung des früheren Kultusministe-
riums in das Ministerium für Wissenschaft,
Kunst und Volksbildung gekennzeichnet. Fra-
gen wir aber, in welchem Sinne und Maß der
Staat „der Kunst Schutz gewährt und an ihrer
Pflege teilnimmt", ob er eine einheitliche, auf
weite Sicht gerichtete, von einer zentralen
Idee geleitete Kunstpolitik treibt, so muß die
Frage verneint werden. Gewiß, der (sehr nie-
drige) Etat für bildende Kunst wird bewilligt;
Heimatschutz und Denkmalspflege werden er-
ledigt; es wird eine (zwecklose) Subventions-
politik getrieben; unter dem Druck der Ver-
hältnisse sind die Behörden jüngst angewiesen
worden, nach Möglichkeit bei öffentlichen Bau-
ten Maler und Bildhauer heranzuziehen; der
Staat tritt schließlich als Käufer auf den Aus-
stellungen auf — aber von einer einheitlichen,
den Grundsätzen des neuen Staates entspre-
chenden Kunstpolitik kann nicht gesprochen

werden. Der Apparat läuft weiter, man läßt
die Dinge treiben; es geschieht nichts, was auf-
horchen ließe.

Der Verwirklichung einer großzügigen und
der Gesamtheit der Nation verantwortlichen
Kulturpolitik stehen, das soll nicht bezweifelt
werden, erhebliche Schwierigkeiten äußerer
wie innerer Art entgegen. Von außen betrachtet
liegt der Kern des Übels in dem Fehlen
einer zentralen Kunstverwal-
tung. Solange die verschiedenen Ministerien,
sei es das Finanz-, Handel- und sogar das
Wohlfahrtsministerium in künstlerischen Fra-
gen Kompetenzen ausüben, ehe also nicht eine
Zusammenfassung der künstlerischen Angele-
genheiten in einer Verwaltungsstelle erfolgt
ist, wird von außen für eine Aktivierung nichts
zu hoffen sein.

Die inneren Schwierigkeiten für eine von ein-
heitlicher Idee getragenen Kunstpolitik hängen
mit der augenblicklichen Situation des Staates
selbst zusammen. Er hat sich im Verfolg der
liberalistischen Anschauung in kulturellen Fra-
gen für neutral erklärt. Wie als weltanschau-
licher Träger hat er auch als kultureller Träger
auf die Führung verzichtet. Diese liberalistische
Auffassung vom neutralen Staat, der seine Be-
rechtigung gerade in seiner Neutralität erblik-
ken konnte, hängt zwar mit der allgemeinen
europäischen Tendenz zum kulturellen Neu-
tralismus zusammen, aber für die Gegenwart
ist diese Idee nicht mehr aufrecht zu erhalten.

Nach einer Zeit der schweren und offen zu-
gegebenen Krise des Staates befinden wir uns
gegenwärtig in den ersten Anfängen einer
Renaissance der Staatsidee. Man for-
dert heute, der Staat solle wieder Staat sein,
Autorität haben, eingreifen, Gerechtigkeit üben.
Politik und Kulturpolitik sollen Äußerungen
eines einheitlichen Willens sein, letztere mit
dem Ziel, der deutschen Kunst den Lebensraum
innerhalb der Nation zu schaffen. Damit ist
natürlich nicht gemeint, daß der Staat die Kunst
kommandieren solle, aber die Rolle und Be-
deutung des Künstlers im Staate und für ihn,
die Verwendung der qualitativen Kräfte etwa
zur Pflege des Reichsgedankens, oder die un-
erläßliche grundsätzliche Reform der Kunst-
schulen, sind Fragen, die der Lösung harren.

Mit diesen Andeutungen wäre die Lage aufge-
zeigt. Da aber Erkenntnisse langsam reifen und
bis zum Handeln ein noch weiterer Weg ist, wer-
den die Worte Geibels wieder Recht behalten:
„Die Zeit zum Handeln jedesmal verpassen,
Nennt man, die Dinge sich entwickeln lassen."

XXXV. Februar 1932. 7.
 
Annotationen