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WUNSCH AN DAS PUBLIKUM
VON Dr. OSKAR SCHÜRER
Die Künstler selbst merken es vielleicht
weniger. Sie werden meist mit schonender
Nachsicht behandelt wie Kranke, oder auch
behutsam, wie wilde Tiere, die man nicht reizen
soll. Sie werden stillschweigend in eine gefähr-
liche Einsamkeit gedrängt. Der aber merkt es,
der als Nichtkünstler es unternimmt, das
Schaffen der heutigen zu verteidigen. Der es
versucht, dem Publikum die Nötigung klar zu
machen, unter der der echte Künstler arbeitet,
die Zwänge der Zeit und den harten Zugriff
des Werdenden. Er merkt so oft und immer
wieder, daß das Publikum gar nicht an die Gut-
willigkeit des Künstlers von heute glauben will.
Daß es sich drein versteift, in dem „unver-
ständlichen" Maler z. B. geradezu Bosheit an-
zunehmen, die darauf ausgeht, das biedere Publi-
kum zu ärgern. Kunstfeindschaft? — beileibe
nicht. Man liebt doch seinen Raphael, seinen
Rembrandt. Sogar Ludwig Richter und Schwind.
Nur Feindschaft gegen die Künstler, soweit sie
nicht tot sind, soweit sie solches Zeug malen,
das man nicht versteht. Das sie natürlich selbst
nicht verstehen usw. Wer unter denen, die
für heutige Kunst einzutreten sich verpflichtet
fühlen, immer, überall, aus Herzenszwang, —
wer unter diesen dreimal Geprüften hätte nicht
derlei Erwiderungen schon über sich ergehen
lassen müssen, hätte nicht vergeblich versucht,
derlei Leute, die ihr Kunstverständnis und ihre
Kunstüberzeugung von Urgroßvätern ererbt
haben, von der ernsten Absicht der ehrlich
Schaffenden zu überzeugen. Vergeblich, denn
auf diese Weise ist nichts zu machen. Man ver-
tieft oft nur noch den Riß zwischen Künstler
und Publikum.
Nein, so ist es nicht zu machen. Von den
Künstlern soll man vorerst noch gar nicht reden,
wenn man das breite Publikum zur modernen
Kunst führen will. Nicht mal von Kunst. Vom
Publikum selbst ist zu reden und von seinen
Nöten. Und daß es doch eigentlich der Klä-
rung recht sehr bedürfe. Klärung aller Anschau-
ungen, auch jener tatsächlichen, die sich bei
XXXV. Januar 1932. 4
WUNSCH AN DAS PUBLIKUM
VON Dr. OSKAR SCHÜRER
Die Künstler selbst merken es vielleicht
weniger. Sie werden meist mit schonender
Nachsicht behandelt wie Kranke, oder auch
behutsam, wie wilde Tiere, die man nicht reizen
soll. Sie werden stillschweigend in eine gefähr-
liche Einsamkeit gedrängt. Der aber merkt es,
der als Nichtkünstler es unternimmt, das
Schaffen der heutigen zu verteidigen. Der es
versucht, dem Publikum die Nötigung klar zu
machen, unter der der echte Künstler arbeitet,
die Zwänge der Zeit und den harten Zugriff
des Werdenden. Er merkt so oft und immer
wieder, daß das Publikum gar nicht an die Gut-
willigkeit des Künstlers von heute glauben will.
Daß es sich drein versteift, in dem „unver-
ständlichen" Maler z. B. geradezu Bosheit an-
zunehmen, die darauf ausgeht, das biedere Publi-
kum zu ärgern. Kunstfeindschaft? — beileibe
nicht. Man liebt doch seinen Raphael, seinen
Rembrandt. Sogar Ludwig Richter und Schwind.
Nur Feindschaft gegen die Künstler, soweit sie
nicht tot sind, soweit sie solches Zeug malen,
das man nicht versteht. Das sie natürlich selbst
nicht verstehen usw. Wer unter denen, die
für heutige Kunst einzutreten sich verpflichtet
fühlen, immer, überall, aus Herzenszwang, —
wer unter diesen dreimal Geprüften hätte nicht
derlei Erwiderungen schon über sich ergehen
lassen müssen, hätte nicht vergeblich versucht,
derlei Leute, die ihr Kunstverständnis und ihre
Kunstüberzeugung von Urgroßvätern ererbt
haben, von der ernsten Absicht der ehrlich
Schaffenden zu überzeugen. Vergeblich, denn
auf diese Weise ist nichts zu machen. Man ver-
tieft oft nur noch den Riß zwischen Künstler
und Publikum.
Nein, so ist es nicht zu machen. Von den
Künstlern soll man vorerst noch gar nicht reden,
wenn man das breite Publikum zur modernen
Kunst führen will. Nicht mal von Kunst. Vom
Publikum selbst ist zu reden und von seinen
Nöten. Und daß es doch eigentlich der Klä-
rung recht sehr bedürfe. Klärung aller Anschau-
ungen, auch jener tatsächlichen, die sich bei
XXXV. Januar 1932. 4