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CHARLES DESPIAU-PARIS
VON ALBERT DRKYFUS
Auf der internationalen Plastikausstellung in
L. Zürich 1931 wurde Despiau besonders ge-
ehrt. Er nahm eine Art Tribuna ein mit nur we-
nigen Werken, dem lebensgroßen Frauentorso
(Abb. S. 163) und drei oder vier Köpfen. Die
paar Sachen genügten zur nachhaltigen Erschüt-
terung. Kein ausgedehntes Schaffensgebiet, aber
Tempelbezirk, in dem man stand. Einer, der mehr
als groß, der rein ist; einer, der mehr ist als ein
Talent, nämlich ein Gewissen. Da ließ sich wohl
rechtfertigen, daß man diesen pariser Bildhauer
einmal ins Zentrum der zeitgenössischen Plastik
rückte, ihn zu ihrem Probierstein erkor.
Der Frauentorso besitzt das ganze Ausmaß
Despiau'scher Begabung. So wie beim späteren
Cezanne ist auch hier nichts erfunden: das emp-
findlichste Auge, die nachfühlendste Hand sind
am Werk, um das Wesentliche aus dem, was
besteht, herauszulocken. Zugespitzter Wille, um
Vision und Wirklichkeit in Übereinstimmung zu
bringen. Dramatisches Ringen, um den Wider-
stand der Materie zu brechen. Wie bei Cezanne:
das anscheinend Unkorrekte der Einzelheit, das
Torso-, Etappenhafte des Geschaffenen, ande-
rerseits reichstes Wachstum, innerste Aufge-
schlossenheit. Im Ganzen: vorläufiges Forscher-
ergebnis. Die Statue ist eine dritte, wohl noch
nicht letzte Fassung eines durch das Leben Des-
piau's sich hinziehenden Themas. Schon existier-
ten einmal Kopf und Arme, in diesem Stadium
ließen sie sich nicht mehr verwenden. Die Fülle
des Lichts auf dem rechten Oberschenkel, die
auch auf der Abbildung sichtbar wird, scheint,
isoliert betrachtet, die Figur zu sprengen. Aber
das ist das Geheimnis Despiau'scher Kunst: so
überbewegt und -belebt auch ein Ausschnitt wir-
ken kann, der Gesamteindruck ist Ruhe, ist Herr-
schaft über zurückgedrängte saturnische Gewal-
ten, ist Festigkeit trotz leichten Erzitterns auch
des kleinsten Flecks auf der Oberfläche.
Unermüdlich wird gebessert, auch wenn schon
Bronzeabgüsse gemacht wurden. Als ich jüngst
in Despiau's Atelier war, wies er mich auf die
Füße der Statue, auf die Zehen, die nach ge-
legentlichem Modell noch eingehender studiert
und abgeändert waren. Zufall wird ausgenutzt,
Einzelheiten wird nachgegangen, aber nur inso-
weit, als dies die Sichtbarwerdung des im Künst-
ler gleichsam präexistierenden Bildes fördert.
Der Kopf, die Büste ist Despiau's eigentliche
Domäne. Das stofflich Begrenzte, das Fragmen-
tarische erleichtert ihm, sich zu konzentrieren,
stärkste Lebensintensitäten einzufangen. Hier
läßt sich seine Art besonders gut erkennen: nichts
von Improvisieren, von skizzenhaftem Stehen-
lassen; auch der geringfügigste individuelle Zug
wird berücksichtigt, aber er muß sich in die fort-
laufende Linie des Substantiellen einordnen wie
das Glied in die Kette. Keine Akzente, nur
Schwingungen; „Ordnung" ist das Wort, das
immer wieder in Despiau's Gesprächen erklingt.
Seine Emotion erhält sich frisch bis zum Ende,
weil er keine Störung ihres Ablaufs, kein Ver-
weilen am Detail duldet. Aber die Ähnlichkeit?
Sein formender Wille ist das Entscheidende.
Wenn die Proportionen so wiedergegeben sind,
wie er sie sah, ist das Bildnis ähnlich.
Ordnung, und auch Sauberkeit! Eine Episode
aus Despiau's Leben ist bezeichnend: in einer
Zeit, da er Not litt, wollte ihm ein Kunsthändler
die Büste seiner Frau abkaufen, unter der Be-
dingung, daß er ihr Haar mit einem Kranz, wohl
nach Art Carpeaux', schmücke. Despiau zog vor,
sich mit Kolorieren von Ansichtspostkarten über
Wasser zu halten. Auch dies ist wichtig von ihm
zu wissen: dieser Bildhauer ist leidenschaftlicher
Jäger. Wie ein Jäger spürt er dem Ausdruck
nach, belauert ihn, umstellt ihn wie ein Wild,
das keinen Ausweg mehr findend erlegt wird.
Monate-, jahrelang, erzählte mir der Künstler,
arbeitet er an einem Kopf. Aber einmal kommt
der Tag, wo er plötzlich, ohne Modell, weiß, was
noch am Werk fehlt. Dann wird eilends die Ober-
fläche — nicht geglättet, sondern von bestimm-
ten Erhöhungen und Vertiefungen wie von Para-
siten befreit, und in ein paar Stunden ist es da,
das Wesentliche, das sich nicht mit „endgültig"
deckt.
Despiau steht tief in den Fünfzigern. Manche
Männerbüste unterbricht die lange Reihe seiner
Frauenporträts, aber jetzt erst tritt er mit einem
männlichen Akt hervor. Für das Mayrisch-Grab-
mal im Luxemburgischen schuf er einen Helden,
einen modernen Helden (Abb. S. 166): einen
Mann, der noch sitzt, aber gerade sich anschickt,
aufzustehen, mit nichts bewaffnet als mit seinem
Gedanken, jeder Muskel Reflex des Willens,
diesen Gedanken in Tat umzusetzen. Mit diesem
Werk gelangt Despiau aus dem gedämpften Zim-
merlicht heraus ins Freie, spricht er zur Menge,
hängt er an die Sinnenfreude geistiges Gewicht.
Es hat alte und neue Vorzüge: Fehlen jeden
billigen Beiwerks, Gestaltung einer Idee mit pla-
stischen Mitteln allein, Selbstbeherrschung bei
einem Maximum von Spannung.
Und wie hat nun Despiau die Probe im Kunst-
haus zu Zürich inmitten all der Plastik der heute
Lebenden bestanden? Aus den Sälen rings um
CHARLES DESPIAU-PARIS
VON ALBERT DRKYFUS
Auf der internationalen Plastikausstellung in
L. Zürich 1931 wurde Despiau besonders ge-
ehrt. Er nahm eine Art Tribuna ein mit nur we-
nigen Werken, dem lebensgroßen Frauentorso
(Abb. S. 163) und drei oder vier Köpfen. Die
paar Sachen genügten zur nachhaltigen Erschüt-
terung. Kein ausgedehntes Schaffensgebiet, aber
Tempelbezirk, in dem man stand. Einer, der mehr
als groß, der rein ist; einer, der mehr ist als ein
Talent, nämlich ein Gewissen. Da ließ sich wohl
rechtfertigen, daß man diesen pariser Bildhauer
einmal ins Zentrum der zeitgenössischen Plastik
rückte, ihn zu ihrem Probierstein erkor.
Der Frauentorso besitzt das ganze Ausmaß
Despiau'scher Begabung. So wie beim späteren
Cezanne ist auch hier nichts erfunden: das emp-
findlichste Auge, die nachfühlendste Hand sind
am Werk, um das Wesentliche aus dem, was
besteht, herauszulocken. Zugespitzter Wille, um
Vision und Wirklichkeit in Übereinstimmung zu
bringen. Dramatisches Ringen, um den Wider-
stand der Materie zu brechen. Wie bei Cezanne:
das anscheinend Unkorrekte der Einzelheit, das
Torso-, Etappenhafte des Geschaffenen, ande-
rerseits reichstes Wachstum, innerste Aufge-
schlossenheit. Im Ganzen: vorläufiges Forscher-
ergebnis. Die Statue ist eine dritte, wohl noch
nicht letzte Fassung eines durch das Leben Des-
piau's sich hinziehenden Themas. Schon existier-
ten einmal Kopf und Arme, in diesem Stadium
ließen sie sich nicht mehr verwenden. Die Fülle
des Lichts auf dem rechten Oberschenkel, die
auch auf der Abbildung sichtbar wird, scheint,
isoliert betrachtet, die Figur zu sprengen. Aber
das ist das Geheimnis Despiau'scher Kunst: so
überbewegt und -belebt auch ein Ausschnitt wir-
ken kann, der Gesamteindruck ist Ruhe, ist Herr-
schaft über zurückgedrängte saturnische Gewal-
ten, ist Festigkeit trotz leichten Erzitterns auch
des kleinsten Flecks auf der Oberfläche.
Unermüdlich wird gebessert, auch wenn schon
Bronzeabgüsse gemacht wurden. Als ich jüngst
in Despiau's Atelier war, wies er mich auf die
Füße der Statue, auf die Zehen, die nach ge-
legentlichem Modell noch eingehender studiert
und abgeändert waren. Zufall wird ausgenutzt,
Einzelheiten wird nachgegangen, aber nur inso-
weit, als dies die Sichtbarwerdung des im Künst-
ler gleichsam präexistierenden Bildes fördert.
Der Kopf, die Büste ist Despiau's eigentliche
Domäne. Das stofflich Begrenzte, das Fragmen-
tarische erleichtert ihm, sich zu konzentrieren,
stärkste Lebensintensitäten einzufangen. Hier
läßt sich seine Art besonders gut erkennen: nichts
von Improvisieren, von skizzenhaftem Stehen-
lassen; auch der geringfügigste individuelle Zug
wird berücksichtigt, aber er muß sich in die fort-
laufende Linie des Substantiellen einordnen wie
das Glied in die Kette. Keine Akzente, nur
Schwingungen; „Ordnung" ist das Wort, das
immer wieder in Despiau's Gesprächen erklingt.
Seine Emotion erhält sich frisch bis zum Ende,
weil er keine Störung ihres Ablaufs, kein Ver-
weilen am Detail duldet. Aber die Ähnlichkeit?
Sein formender Wille ist das Entscheidende.
Wenn die Proportionen so wiedergegeben sind,
wie er sie sah, ist das Bildnis ähnlich.
Ordnung, und auch Sauberkeit! Eine Episode
aus Despiau's Leben ist bezeichnend: in einer
Zeit, da er Not litt, wollte ihm ein Kunsthändler
die Büste seiner Frau abkaufen, unter der Be-
dingung, daß er ihr Haar mit einem Kranz, wohl
nach Art Carpeaux', schmücke. Despiau zog vor,
sich mit Kolorieren von Ansichtspostkarten über
Wasser zu halten. Auch dies ist wichtig von ihm
zu wissen: dieser Bildhauer ist leidenschaftlicher
Jäger. Wie ein Jäger spürt er dem Ausdruck
nach, belauert ihn, umstellt ihn wie ein Wild,
das keinen Ausweg mehr findend erlegt wird.
Monate-, jahrelang, erzählte mir der Künstler,
arbeitet er an einem Kopf. Aber einmal kommt
der Tag, wo er plötzlich, ohne Modell, weiß, was
noch am Werk fehlt. Dann wird eilends die Ober-
fläche — nicht geglättet, sondern von bestimm-
ten Erhöhungen und Vertiefungen wie von Para-
siten befreit, und in ein paar Stunden ist es da,
das Wesentliche, das sich nicht mit „endgültig"
deckt.
Despiau steht tief in den Fünfzigern. Manche
Männerbüste unterbricht die lange Reihe seiner
Frauenporträts, aber jetzt erst tritt er mit einem
männlichen Akt hervor. Für das Mayrisch-Grab-
mal im Luxemburgischen schuf er einen Helden,
einen modernen Helden (Abb. S. 166): einen
Mann, der noch sitzt, aber gerade sich anschickt,
aufzustehen, mit nichts bewaffnet als mit seinem
Gedanken, jeder Muskel Reflex des Willens,
diesen Gedanken in Tat umzusetzen. Mit diesem
Werk gelangt Despiau aus dem gedämpften Zim-
merlicht heraus ins Freie, spricht er zur Menge,
hängt er an die Sinnenfreude geistiges Gewicht.
Es hat alte und neue Vorzüge: Fehlen jeden
billigen Beiwerks, Gestaltung einer Idee mit pla-
stischen Mitteln allein, Selbstbeherrschung bei
einem Maximum von Spannung.
Und wie hat nun Despiau die Probe im Kunst-
haus zu Zürich inmitten all der Plastik der heute
Lebenden bestanden? Aus den Sälen rings um