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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 69.1931-1932

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Schröder, Rudolf Alexander: Neue Werke von Dietz Edzard
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M., W.: Der Eigenwert der Zeichnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7203#0030

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22

ein Stammeln, die ihm eigentümliche, so nahe an
die Sphäre des Dichterischen herangehobene
Vision ein bloßes Träumen bleiben muß. — Wel-
ches Glück die vollzogene Aneignung der sinn-
lichen Welt als des eigentlichen Substrates und
Mittels seiner Kunst für den Maler selbst be-
deute, kann man schon aus der Heiterkeit und
Freiheit entnehmen, zu denen er sich nunmehr
erhoben hat. Wie unbeschwert, wie selbstver-
ständlich sprechen die silbergrauen, grünblauen
und rostroten Töne dieser Landschaften, das
weiche Rosa und Gelb dieser Köpfe und Akte,
in denen bei aller Vereinfachung kein wesent-
licher Bestandteil des Aufbaues vermißt wird.

Wenn wir heute für den Maler Dietz Edzard
noch einen — vielleicht vermessenen — Wunsch

auszusprechen hätten, so wäre es der, daß er
mit fortschreitender Schmeidigung und Verfeine-
rung des neugewonnenen Mittels sich auf höhe-
rer und gefestigterer Basis nach und nach auch
einiger unter den Elementen dichterischen Schau-
ens wieder bemächtigen möchte, die seinem
Frühwerk die bei aller Unvollkommenheit beson-
dere und bedeutsame Signatur gaben. Daß dies
im engeren Sinne „Dichterische" nunmehr nicht
an der Peripherie des gestalteten Werkes oder
gar außerhalb ihrer zu suchen oder zu finden,
sondern nur von seinem Kern aus durch allmäh-
liche Bereicherung und Differenzierung seiner
einzelnen Strukturteile zu gewinnen sein werde,
darüber glaube ich Edzard auf seiner heutigen
Stufe mit mir eines Sinnes.......... r. a. s.

DER EIGENWERT DER ZEICHNUNG

Ein Gemälde vereinigt in sich Zeichnung und
Farbe. Und nichts könnte natürlicher schei-
nen als diese Vereinigung, die uns ja auf Schritt
und Tritt schon in der Natur gegeben ist. Aber
was in der Natur einheitlich vorhanden ist, steht
das auch in der menschlichen Wiedergabe so
selbstverständlich und spannungslos nebenein-
ander? Mein Auge verweilt auf einer Zeichnung
Grünewalds. Es ist jene wunderbare „Hl. Doro-
thea", deren plissiertes Gewand in reichen Kas-
kaden herabfließt, ein Gebilde, das üppig und
umfassend ist wie eine Landschaft, eine Urbe-
gegnung von Licht und Schatten, in die mit musi-
kalischer Vieldeutigkeit alles hineingezeichnet ist,
was sich in der Brust des Menschen ereignen
kann. Und doch steht diese ganze reiche For-
menwelt eingefaßt in das Gesamtbild einer von
innen her lieblichen, weil seelenschweren Frau.
Ihr Haupt umleuchtet ein Lichtkranz; nicht die
dogmatisierte, abgegrenzte Scheibe des Heiligen-
scheins, sondern eine Aura von belebtem, zucken-
dem Licht, anzusehen wie eine feurig - flüssige
Sonne mit ihren Protuberanzen. Dieses Licht
stürzt über die fallenden, hellen Haarsträhnen
und dann über die Joche, Zacken, Kämme und
Felder des Gewandes zu Tal — gleichsam wie
Sonnenstrahlen über einem bewaldeten Gebirge.
Da liegt die ganze Erde unter dem erstgeborenen
Licht, und zugleich die ganze ungeheure Masse
der Materie unter dem Geist. Sie atmen sich
beide ineinander; sie stehen beide auf dem
höchsten Punkt ihrer „Eigenheit" und doch auch
im hellen Brande der Versöhnung.

Und nun fällt mir die Farbe ein. Für ein Ge-
mälde war ja diese Zeichnung bestimmt; die
Farbe sollte hinzukommen. Was ist es, daß mich
der Gedanke an die Farbe eigentümlich stört,

fast ernüchtert? Hat Grünewald nicht hundert
Beweise geliefert, daß er in der Farbe ebenso
unbegreiflich groß ist wie in der Zeichnung?
Ohne Zweifel. Aber es ist mir doch, als ginge
beim Hinzutreten der Farbe ein Sonderwert un-
wiederbringlich verloren: dieses zeichnerische
Sagen, dieses artikulierte, mitteilsame Sprechen
und Erläutern, diese besondere Faßlichkeit und
Verständlichkeit, mit der der schwarze Strich
auf weißem Grunde erscheint und die er mit
den Schriftzügen gemein hat. Ganz gewiß hat
das Gemälde im Ganzen eine unvergleichlich
vollere Wirkung als die Zeichnung. Aber diese
vollere Wirkung ist nicht gleich der Summe von
Zeichnung und Farbe. Die Zeichnung geht nicht
völlig mit ihrem Sonderwert ins Gemälde ein.
Sie gibt etwas ab; sie gibt das ab, was die Farbe
zudeckt, wie in der Oper die reine musikalische
Form etwas abgibt, was unter dem Dramatischen
und Optischen verschwindet. Die Zeichnung ver-
liert beim Übergang ins Gemälde ihre „Wortge-
stalt" in ähnlicher Weise wie das lyrische Ge-
dicht, das vertont wurde, beim Singen verliert.
Sie gewinnt dabei; aber sie zahlt einen Preis da-
für. Was in ihr Wort war, wird hallender Gesang.
Was in ihr Gespräch war, wird Rede und Ver-
kündigung. Was intim war, wird öffentlich. Das
Gemälde reicht weit hinaus; es ist aus dem Mehr-
zahlhaften im Künstler bestimmt und wendet sich
an das Mehrzahlhafte im Beschauer. Denn die
Farbe ist ein Element der positiven, angeschauten
Welt. Die Zeichenmaterie aber gibt immer im
wesentlichen Bekenntnis, private Auseinander-
setzung ; sie ist ein Element der Persönlichkeit,
und zwar der Persönlichkeit in direkter, gespräch-
hafter Mitteilung. Darin liegt ihr Sonderwert, auf
den hier hingewiesen werden sollte..... w. m.
 
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