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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 69.1931-1932

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Nemitz, Fritz: Kunst und Nation
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https://doi.org/10.11588/diglit.7203#0108

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internationale Schätzung bedeutet aber für
die verschiedenen Nationen etwas ganz Verschie-
denes. Denn es gibt keine internationale Erfah-
rungs- und Erlebnisgemeinschaft. Es kann darum
auch keine internationale und keine Menschheits-
kunst geben, so wenig wie eine Weltsprache.
Die Möglichkeiten und Grenzen für die einzelnen
Künste liegen hier verschieden, für die Dichtung
z. B. sind sie enger als für die optische Welt der
Farbe. Man kann zwar, wie Rilke, in zwei ver-
schiedenen Sprachen dichten, aber nicht aus
ihnen heraus schaffen. Alle solche Versuche
scheitern am Widerstande der Nation. Jede
Kunst kommt aus einer nationalen Gemein-
schaft. Der Künstler kann nicht in verschiedenen
Erfahrungszentren leben und aus ihnen heraus
schaffen. Es gibt hier natürlich keine starren
Grenzen, jedoch darf man nicht in den Fehler
verfallen, die Verschiedenheit der Zentren zu
leugnen.

Auch das internationale Christentum hat keine
internationale Kunst hervorgebracht. Erst nach
seinem Siege entstehen aus engeren Erlebnis-
gemeinschaften heraus Kunstwerke, die noch
heute unsere Bewunderung erregen. Ihre Größe
und Schönheit beruht gerade auf der Volksnähe

und Volksverbundenheit. So schreibt, um nur ein
Beispiel zu geben, das Volk von Florenz 1298
vor dem Bau einer neuen Kirche an den Bau-
meister: „Du wirst so ein Bauwerk errichten, daß
sich die menschliche Kunst nichts Schöneres und
Großartigeres vorstellen könnte, du mußt es so
erschaffen, daß es dem außerordentlich groß ge-
wordenen Herzen entsprechen und sich die Seelen
der Bürger, die auf einen einzigen Willen gegrün-
det sind, vereinigen soll."

Das Volk ist nicht nur die Kraft, die die mate-
riellen Werte schafft, sondern in ihm ruht auch die
unversiegbare Quelle der künstlerischen Werte.
Die Kunst liegt in der Begabung und Macht des
einzelnen, zur wirklichen Schöpfung ist nur die
Gemeinschaft fähig. Zeus war vom Volke erschaf-
fen, ehe Phidias ihn in Marmor meißelte.

Kunst ist also eine nationale Angelegenheit,
vom Mutterboden des Blutes, der Landschaft
genährt. Kunst aber, die um jeden Preis national
sein will, ist ebenso eine Fiktion wie die, die um
jeden Preis international sein will. Reiche und
Dynastien vergehen, die Nation ist aber unsterb-
lich. Und je tiefer ein Kunstwerk aus ihrem Boden
Gehalt und Formen schöpft, umso weniger sterb-
lich und auch umso übernationaler wird es sein. n.

LEOPOLD LEVY-PARIS. GEMÄLDE »STILLEBEN« 1929
 
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