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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 69.1931-1932

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Niebelschütz, Ernst von: Bildloses Denken
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https://doi.org/10.11588/diglit.7203#0292

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BILDLOSES DENKEN

VON ERNST V. NIEBELSCHÜTZ

Wir führen heute bewegliche Klage über
das Nachlassen des Kunstempfindens und
glauben in der gegenwärtigen wirtschaftlichen
Bedrängnis und dem Bestreben, alle verfüg-
baren Kräfte allein zu ihrer Überwindung auf-
zubieten, den Hauptgrund dafür erblicken zu
müssen. Wer so urteilt, verkennt jedoch die
geschichtlich belegbare Tatsache, daß sowohl
Blüte wie Verfall der Kunst von jeher Erschei-
nungsformen des kulturellen Lebens gewesen
sind. Wenn Kunst geistiges Tun ist, — und wer
möchte das im Ernst bezweifeln? — so können
materieller Wohlstand oder Ruin sie wohl rein
äußerlich beeinflussen, sie aber in ihrer Wesen-
haftigkeit weder hervorbringen noch außer Kraft
setzen. Der Grund für unsere heutige Kunst-
krisis muß also tiefer liegen, er muß in der
geistigen Situation der Zeit auffindbar sein.

Als ein wichtigstes Merkmal der Periode, der
wir unseren Stempel aufdrücken, betrachten
und rühmen wir die „Sachlichkeit". Worin be-

steht sie? Im Aussprechen und Darstellen des-
sen, was wir als konkret empfinden, was
zweckmäßig und unmittelbar verwendbar ist,
in der Heiligsprechung der Kürze und Präzision,
in der Ablehnung alles Gefühlsbedingten, des
nicht direkt in die Sache Hineinführenden: des
Symbols, des Umwegs. Auch des Umwegs über
den Menschen. Versachlichung ist Entmensch-
lichung. Unser Leben ist zum Apparat gewor-
den, bestehend aus Dingen, die ein persönliches
Verhältnis zu uns nur noch insofern haben, als
sie uns nützlich sind oder nicht.

Am deutlichsten zeigt sichdas inder Sprache.
Wer hat nicht schon bemerkt, daß sie zusehends
aufhört, sich in Bildern zu äußern, daß sie
die Neigung hat, dem abstrakten Begriff ihr
inneres Leben zu opfern? Sobald eine Sprache
aber aufhört, an ihrer Bilderwelt weiter zu
arbeiten, beginnt auch bereits der Prozeß der
Entpersönlichung, der Loslösung von ihren Ur-
quellen. Der sachliche Mensch von heute be-
 
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