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Kimpflinger, Wolfgang [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 1, Teil 2): Stadt Braunschweig — Braunschweig, 1996

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https://doi.org/10.11588/diglit.44169#0027

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Baugeschichtlicher Überblick

Die Baugeschichte Braunschweigs im 19. und 20.Jh. basiert auf einer soliden, tragfähi-
gen Tradition, die vor allem im Einfamilien- aber auch im Mietwohnungsbau stilistisch
immer wieder und für längere Zeit auf die bedeutenden Architekturen des Klassizismus
der 1. Hälfte des 19.Jh. Bezug nahm. Hinzu kamen gegen Ende des 19.Jh. verstärkt
Einflüsse aus Architekturzentren wie Berlin und Hannover, die in vielfältigen Varianten
und Mischungen im Baugeschehen der Stadt ihren Niederschlag fanden.
Braunschweig gehörte im 19. und 20.Jh. nicht zu den impulsgebenden Brennpunkten
wie Berlin, München, Hamburg, Hannover oder auch Darmstadt, wo Stilrichtungen ge-
prägt und Bautypen entwickelt wurden. Die Braunschweiger Architekten des 19. und
20.Jh. waren aber neuen, von außen kommenden Anregungen gegenüber offen und
haben architektonische Strömungen in die Stadt getragen, die zu überdurchschnittli-
chen Ergebnissen führten. Hier ist vor allem der langjährige Stadtbaurat Ludwig Winter
zu nennen, der an Kirchen-, Schul- und Verwaltungsbauten virtuos romanische und go-
tische Formen anwandte. Von anderer Prägung war der Hochschullehrer Constantin
Uhde, der eine mehr klassische Architekturauffassung vertrat und dessen Bauten eine
vornehme Zurückhaltung und Eleganz zeigen. Er war sowohl an der italienischen Bau-
kunst der Renaissance als auch an den Bauten seines Braunschweiger Vorgängers
C.Th. Ottmer orientiert. M. Osterloh, lange Jahre neben L. Winter in der städtischen
Bauverwaltung tätig, schlug die Brücke zum Neubarock mit dem Bau des Städtischen
Museums, dem Wasserturm auf dem Giersberg und einigen Schulbauten nach der
Jahrhundertwende. Auch die Jacobikirche von J. Kraaz zählt zu diesen freier entworfe-
nen Bauten. Der architektonische Expressionismus fand seinen Vertreter in K. Mühlen-
pfordt, der aus seiner vorherigen Wirkungsstätte Lübeck die Ziegelarchitektur nach
Braunschweig brachte und in den zwanziger Jahren mit dem AOK-Gebäude, vor allem
aber mit dem phantasievollen Bau des Hochspannungsinstituts der Technischen Hoch-
schule ungewöhnliche Akzente setzte. Auch Emil Herzig, der mit der ehemaligen Bern-
hard-Rust-Hochschule zwar für die Nationalsozialisten baute, aber ähnlich wie Mühlen-
pfordt einen Backsteinexpressionismus vertrat, der dem NS-Regime im allgemeinen
fremd war, gehört in dieses Umfeld. Das „Neue Bauen“ fand Eingang in Siedlungskon-
zepte wie dem Siegfriedviertel oder Ausdruck in solitären Einzelleistungen wie dem La-
gerhausbau an der Ekbertstraße von O. Haesler. In meist bescheidener, von ökonomi-
schen Zwängen diktierter Ausprägung kamen „Neues Bauen“ und Funktionalismus
nach dem Zweiten Weltkrieg als Reimport aus Amerika zurück und beherrschten auch
in Braunschweig in großem Umfang das Wiederaufbaugeschehen vor allem in der zer-
störten Innenstadt, aber auch, verbunden mit neuen Verkehrskonzepten, die architekto-
nische Gestaltung von Neubaubereichen außerhalb des Wallgürtels. Der neue Bahnhof
von 1960, das jüngste Baudenkmal in Braunschweig, steht am Ende dieser Entwick-
lung.

Sakralbauten
Städtische Pfarrkirchen
Entsprechend der relativ zögerlichen und späten Besiedlung der Stadterweiterungsge-
biete setzte auch der Kirchenbau in den Außenbezirken Braunschweigs erst gegen En-
de des 19.Jh. ein. Bis dahin konnten die Innenstadtgemeinden mit ihren zahlreichen
und großen Kirchenbauten die neu entstehenden Wohngebiete außerhalb des Wallgür-
tels mitversorgen. In der Reihenfolge ihrer Entstehung sind die neuen Pfarrkirchen der
Außenstadt auch ein Spiegel der Stadtentwicklung: Mit der ab 1897 errichteten St. Pau-
likirche entstand der erste Neubau im Osten an der Kaiser-Wilhelm-Straße, der heutigen
Jasperallee und war, dem gehobenen Wohnumfeld entsprechend, in eine städtebaulich
ehrgeizige Gesamtplanung eingebunden, von der dann allerdings nur Bruchstücke aus-
geführt wurden. Gemäß der in der damaligen Architekturtheorie ständig gestellten Frage
nach dem „Style“, in dem zu bauen sei, stellte L. Winter einen „romanischen“ und einen
„gotischen“ Entwurf zur Verfügung, von denen der „gotische“ ausgeführt wurde. In sei-
ner Grundrißdisposition ist der Bau eine gedrungene Anlage mit städtebaulich wirksa-
mem Südturm, die keine gotisch gestreckten Formen, sondern mit kurzem Schiff und
nur wenig tiefen Querarmen mehr die Struktur eines Zentralbaues zeigt.
Neugotisch ist auch der zweite Kirchenbau L. Winters im Südosten an der Helmstedter
Straße, die 1901-1905 errichtete St. Johanniskirche - diesmal ein gestreckter Bau mit

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