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Kimpflinger, Wolfgang [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 1, Teil 2): Stadt Braunschweig — Braunschweig, 1996

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https://doi.org/10.11588/diglit.44169#0178

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gium Carolinum“ am Bohlweg in der Innenstadt,
dem ältesten deutschen Polytechnikum, das
von Herzog Carl I. 1745 gegründet wurde.
Constantin Uhde entwarf den Gebäudekom-
plex, von barocken Schloßarchitekturen abge-
leitet, als vierseitige Anlage mit Innenhof, zwei-
geschossig und auf einem hohen, durchfenster-
ten Kellersockel ruhend. Die schweren
Kriegsschäden von 1944 führten dazu, daß die
Anlage nur noch in wenigen Teilen im Ur-
sprungszustand erhalten ist. Das historische
Kernstück des Baues ist heute der Haupt- und
Eingangstrakt im Osten an der Pockelsstraße.
Hier konnte die ursprüngliche Fassade erhalten
werden, die, konsequent in Werkstein ausge-
führt, Formelemente der italienischen Hochre-
naissance in einer durch G. Semper vermittel-
ten Auffassung zeigt: die 100 Meter lange Front
ist durch zwei nur leicht vortretende Eckrisalite
gefaßt und in der Mitte durch einen fünfachsi-

gen, in zweifacher Stufung vortretenden Mittel-
bau zentriert. Flachdächer, ein umlaufendes,
verknüpftes Kranzgesims sowie die zusätzliche
Gewichtung des Mittelbaues durch eine schwe-
re Attika mit Kugel- und Pyramidenaufsätzen
verleihen dem Bau vor allem aus der Fernsicht
eine herrschaftliche Monumentalität, die dem im
19.Jh. enorm angestiegenen gesellschaftlichen
Stellenwert von Wissenschaft und Technik
Rechnung trägt. Wichtigstes Gliederungsinstru-
ment der vielachsigen Fassade sind die Rund-
bogenfenster, in der größtenteils rustizierten
Erdgeschoßzone durch profilierte Stirnbögen
und ein horizontal gliederndes Kämpfergesims
akzentuiert, während im Obergeschoß ein zu-
sätzliches Gliederungssystem aus Pilastern und
Gebälkzone eine deutliche Hierarchie im Aufriß
vorträgt. Die drei anderen Flügel des Baues
sind dem Haupttrakt optisch schon immer un-
tergeordnet gewesen. Sie waren verputzt, wie


Pockelsstr. 4, ehern. Technische Hochschule, Grundriß


fttURHföTORlS
ifef-iÖiÜSEUMl

Pockelsstr. 10a, Naturhist. Mus., 1935, Arch. E. Herzig

das der heute noch erhaltene Nordflügel an der
Schleinitzstraße zeigt. Der im Zweiten Weltkrieg
stark beschädigte Westflügel ist in den Nach-
kriegsjahren in vereinfachter Form wieder auf-
gebaut worden, der Südflügel dagegen fehlt
heute ganz. Auch die Innenraumstruktur ist in
der Nachkriegszeit völlig verändert und den Be-
dürfnissen eines modernen Universitätsbaues
angepaßt worden mit zum Teil bemerkenswer-
ten An- und Umbauten im Hofbereich der alten
Vierseitanlage: Mit dem sich ständig steigern-
den Raumbedarf der Hochschule ist bereits
1954 das seither die Gesamtanlage optisch
stark bestimmende Hochhaus westlich des
Hauptbaues errichtet worden, in dem die ge-
samte Fakultät Bauwesen untergebracht wer-
den konnte und das über einen Verbindungs-
gang in Stahlskelettkonstruktion mit dem Altbau
an der Pockelsstraße verbunden wurde. Im Ver-
lauf dieser Maßnahme ist die Abbruchkante des
verlorenen Südtraktes des Altbaues mit einer
glatten Werksteinverblendung geschlossen
worden.
Ein weiterer, architekturhistorisch bemerkens-
werter Institutsbau befindet sich im westlichen
Bereich des Universitätsgeländes. Es ist das
1927/28 von Carl Mühlenpfordt entworfene
Hochspannungsinstitut, eine über rechtecki-
gem Grundriß aufgeführte funktionalistische
Backsteinarchitektur mit eigenwilligen expres-
sionistischen Details in der Fassadengestaltung.
Hervorzuheben ist besonders die Durchbildung
der raumschließenden Hülle im oberen Bereich,
die eine engstehende Pfeilerabfolge aufweist
mit dazwischenliegenden, unterschiedlich ho-
hen und asymmetrisch angeordneten Fenster-
bahnen. Der nördliche der beiden Eingänge ist
mit gestuftem Gewände und flankierenden,
fackelartigen Metalleuchten noch im ursprüngli-
chen Zustand erhalten. Sprechende Details, wie
der eine erhalten gebliebene von ursprünglich
zwei an der Außenwand angebrachten Isolato-
ren, die über Leitungen mit auf dem Dach aus-
kragenden Strommasten verbunden waren,
sind beredter Ausdruck der im Innern stattfin-
denden technischen Abläufe. Die in den Hei-
sterholzer Klinkerwerken in Minden hergestell-
ten hartgebrannten bläulichen Ziegel der
Außenhaut des Gebäudes haben als Baumate-
rial in Braunschweig keine Tradition. Sie verwei-
sen auf die norddeutsche Backsteinarchitektur,
mit der Carl Mühlenpfordt durch seine langjähri-
ge Tätigkeit in Lübeck eng verbunden war.
Ein weiterer monumentaler Gebäudekomplex
markiert das nördliche Ende der Pockelsstraße
an der Einmündung zum Rebenring. Hier er-
hebt sich auf der Ostseite der Straße mit einem
45 Meter hohen turmartigen Hauptbau der um-
fangreiche Komplex der ehemaligen Bernhard-
Rust-Hochschule für Lehrerausbildung mit an-
gegliedertem Naturhistorischem Museum (Con-
stantin Uhde Straße 16 und Pockelsstraße
10A). Das ehemalige Lehrerbildungsseminar ist
heute der Technischen Universität angegliedert.
Der Bau dieser pädagogischen Hochschule mit
Turnhalle und ausgedehntem Sportfeld fand un-
ter nationalsozialistischer Herrschaft statt und
nahm das ganze Areal des ehemaligen Kleinen
Exerzierplatzes ein. Benannt wurde die Anlage
nach dem damaligen Reichsminister und Gau-
leiter Bernhard Rust. Architekt war Emil Herzig,
schon früh NSDAP-Mitglied und durch seine

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