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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Riemerschmid, Richard: Zur Frage des Zeitstiles
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0015

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DIE FORM/MONATSSCH RIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
deutet und mißbraucht, haben jeden Menschen, der sich durch Malen oder Modellieren seinen Lebens-
unterhalt zu verdienen sucht, „Künstler“ genannt, eine Berufsbezeichnung aus dem Namen gemacht, der
eine hohe Eigenschaft, ein Geschenk des Himmels bezeichnen sollte. Es wäre gut, den Mißbrauch wieder
zurechtzurücken, aber, ob das nun gelingt oder nicht: die wahren Künstler sind nicht nur unter den
„Künstlern“ zu suchen, und sie sind auch unter den „Künstlern“ recht selten. Und dann erfinden sie
wohl auch zwischen zwei Bildern einmal Belagerungsmaschinen und Befestigungswerke oder Eisenbahn-
wagen, je nachdem sie im 16. oder im 19. Jahrhundert der Gestaltungskraft, von der sie besessen sind,
ihren Lauf lassen. Wir haben diese Dinge nicht mehr richtig gesehen, wir müssen’s wieder lernen.
Solche Betrachtungsweise rückt dann sofort auch die Baukunst, die im Bewußtsein der Menge, auch
der Menge der „Gebildeten“, kaum mehr zur bildenden Kunst gehört, wieder an die erste Stelle, die ihr,
der Mutter, gebührt. Aber vorher noch werden eben auch ihre stolzen Jünger sich zu der Einsicht ent-
schließen müssen, daß die vielen „Künstler“ unter ihnen belastet sind mit mancherlei Art von Verdorben-
heit, und daß die Wahren auch auf diesem Gebiet eher da zu finden sind, wo auf das Leben, als da, wo
auf die „Kunst“ hingezielt wird.
In einer solchen Lage nur keine Zaghaftigkeit, keine beruhigende Selbsttäuschung und andererseits
keinen hysterischen Größenwahn, der seine Schwäche hinter großen Worten und unerhörten Riesen-
projekten versteckt! Mannhaft die Dinge sehen und nehmen, wie sie sind! Mir will’s so scheinen, als
wenn das Mannhafte für unsere Zukunft und damit auch für ihren Stil das eigentliche Kennzeichen
werden müßte. Über das selige, gläubige, von Spiel und Kunst und auch von schuldlos-grausamem
Egoismus umblühte Kindheitsalter, wie es uns aus der Antike und aus den Kulturen des Ostens berückend
und lockend anblickt, und dann über die Zeit des Gährens, der ruhelosen, gewalttätigen Jünglingsjahre,
wie sie die endlosen Wirren des von Sehnsucht glühenden Mittel alters und der protestierenden, revo-
lutionierenden, an Zweifeln und an Erkenntnis reichen Neuzeit des Abendlandes und des neuen Weltteils
darstellen, wächst die Menschheit hinaus in das strengere, der Tat zugewandte Mannesalter. Die Jahre
seit 1914 (— freilich jetzt sieht’s noch gar nicht so aus —) haben uns um ein Stück vorwärts gestoßen
auf diesem Weg zum Mannesalter, in dem Schranken fallen, ein reifer Wille, eine klare Überzeugung
die Zügel ergreifen, entschlossenes Handeln mit den harten Tatsachen fertig werden, und strenge Arbeit in
der Masse und mit der Masse geleistet werden muß. Das bedeutet nicht lauter Menschen, die kalte, nüch-
terne Rechner sind, im Gegenteil, je mehr reife, entschlossene Männer einander gegenübertreten, desto
klarer stellt sich heraus, daß nicht das Übervorteilen, das zu schwierig geworden ist, sondern gemeinsames
Arbeiten, gemeinsames sich bilden und sich gelten lassen vorteilhaft ist. Und dann wird solche Mannhaftig-
keit auch rühmliche Formen annehmen müssen. Denn es glaube nur keiner, daß unser Stil seine Gewöhn-
lichkeit, Verlogenheit, Zerrissenheit, Verschiedenwertigkeit verlieren kann, ehe wir, d. h. ein ganzes Volk,
das sich als Einheit fühlt, im Stande sind, sichere Antwort zu geben auf die entscheidenden Fragen eines
höheren Lebens. Ist das rücksichtslose Erraffen oder das heitere Entsagen der Weisheit letzter Schluß?
Erfüllt sich in dieser Welt oder in einem Jenseits der Sinn unseres Daseins? So oder so kann die Ant-
wort lauten, nicht das entscheidet. Wenn sie aber von der Gesamtheit und für die Gesamtheit überhaupt
nicht gegeben werden kann, dann ist das ein Zustand kläglicher Haltlosigkeit, und wie sollen wir dann
unseren Formen etwas andres als wieder klägliche Haltlosigkeit mitgeben. Die Gesamtheit nämlich, die
Gesamtgesinnung allein, kann natürlich den Formenkreis der Gesamtheit hervorbringen, und wenn auch,
von ihr getragen, die Einzelgesinnung des genialen Menschen das Entscheidende und Höchste beitragen
kann, so kann diese Leistung doch nie die Gesamtleistung ersetzen, kann einen Stil — zwar übern
Haufen werfen, aber — nie hervorbringen.

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