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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Kreis, Wilhelm: Die neue Einigung
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Bartning, Otto: Die Baukunst als Deuterin der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0019

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Wendigkeiten zum Ausgang für seine Organismen nimmt und der andere aus einer freieren Aufgabe
den Aufstieg in phantastische Höhen zu erklimmen sucht. So begreifen wir, daß ohne Gegensatz in der An-
schauung vollkommen unterschiedliche Wirkungen aus einem und demselben Geiste entspringen, und
die reichste Innenkunst sich mit der schlichtesten Außenkunst vereinigt. Eine zielsichere Linie des Auf-
baues, ein von allem Krimskrams befreites Wachsen im Baukörper und im Inneren ein weiches Sich-
anschmiegen an die mannigfache Art des menschlichen Ausruhens. Dieses sind Kennzeichen, daß wir
einig sind in der Vielgestaltigkeit, daß wir bilden, nicht kostümieren!
Dieses ist der Zeitstil, daß er nicht in gleicherweise Nutz- und Feierbauten überdeckt mit einem und
demselben Gewand, daß er vielmehr jede Aufgabe von innen heraus gestaltet. Dadurch der Reichtum,
dadurch auch die Keimtüchtigkeit der neuen Bildungen, die wir berechtigt sind, Formen eines und des-
selben Geistes zu nennen, die zusammen den Ausdruck der Sehnsucht unseres Schaffens darstellen und
ein Zeitbild ergeben.
Die Baukunst als Deuterin der Zeit
von Otto Bartning
Unsere Zeit ist chaotisch. Die komplizierte Organisation einer auf Staat, Geld, Rechten und Mächten
errichteten bürgerlichen Arbeitsordnung ist eingestürzt, hat sich in wirres Durcheinander auf-
gelöst. Der ehrliche, betrübte Bürger sieht keinen Ausweg, allenfalls einen Rückweg. Der ebenso ehr-
liche, ebenso betrübte und enttäuschte Revolutionär hält fest am Glauben an das Einfache, das Ein-
fältige.
Man sagt, die moderne Kunst sei ein getreues Abbild dieses Chaos, ja sie habe die Auflösung vorbe-
reitet, habe die Zersetzung vollständig gemacht. Es ist richtig, auch in der Kunst ist eine komplizierte
Organisation des Überlieferten, Nachempfundenen, Angenehmen und Akademischen zusammen gestürzt,
alles Feste und Erstarrte hat sich aufgelöst in Chaos, und vieles, das sich immerhin Kunst nennt, ver-
harrt dabei, das Chaos zu glorifizieren: ein greller, zuweilen ein grandioser Zynismus.
Ich aber glaube und bekenne: nicht für einen Zynismus bluten und schwitzen wir, nicht die Freiheit
der allgemeinen Auflösung macht uns trunken, sondern das ahnende Schauen des Ureinfachen, Urein-
fältigen ist es, das uns zwingt, heute so zu schaffen und nicht anders, und das uns hinreißt, morgen das
Heute zu verwerfen, gleichgültig gegen die schönsten Zeitstildefinitionen.
Die Baukunst scheint mir die ehrlichste Zeitdeuterin, weil sie, mit dem zähesten Stoff ringend, nicht
leichthin spielt, sondern tut, was sie nicht lassen kann. So betrachtet scheinen auch Skizzen und uto-
pische Entwürfe wohl das phantasievolle Hoffen und Wünschen einer Zeit widerzuspiegeln, das dieser
Zeit von Gott gegebene Können und Vollbringen wird aber nur am gebauten Bauwerk erkennbar.
Nun wüßte ich auf keines der wenigen in den letzten Jahren bei uns gebauten Bauwerke die Hand
zu legen und zu sagen: siehe, dies ist es, dies ist die Gestalt dessen, das wir suchen — aber in mancherlei
Werken fühle ich es wirken, aus mancherlei Werken sehe ich es hervordringen.
Bei einer Reise durch Holland, das in den Jahren unserer erzwungenen Untätigkeit eifrig gebaut hat,
sah ich zweierlei:
Ich sah einfache kubische Raumelemente von klaren Verhältnissen, Anordnung der Raumelemente
zueinander zu wohlabgewogenen, krystallisch in sich beruhenden Raumgestalten; Grundrisse, Konstruk-
tionsschemata, Steinbeläge der Fußböden, Bemalungen der Wände zeigten dieselbe gewissermaßen kry-
stallinisch-anorganische Schönheit und Beharrung der Formen und Farben zueinander.

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