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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Poelzig, Hans: Vom Bauen unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0034

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
mern an die Tradition überwinden zu helfen. Das liegt natürlich nur nebenbei, die Hauptsache ist die,
daß unseren Städten und Dörfern dadurch ganz ungeahnte Schönheiten erobert und zum Teil rückero-
bert werden. Es ist ja meist ganz unbekannt, daß man mit Farbe bauen kann, und falls man sie über-
haupt anwendet, bauen muß, und daß dies in den großen Zeiten der Kunst so geschehen ist.
Es gibt schwere Farben und leichte. Die Erde ist dunkel, und der Himmel ist hell, und wer einem
Bau einen schwarzen Kopf und weisse Beine gibt, wird ihm die Beine, optisch genommen, absägen,
ihn sozusagen auf Luft stellen und den Eindruck des Umkippens hervorrufen.
Die Farbe ist der Form gegenüber, die handwerklich mehr Übung und Erfahrung verlangt, das Pri-
märe, und jeder junge Stil hat damit angefangen. Daß der antike Tempel farbig war, weiß man schon,
aber die ganze mittelalterliche Stadt war farbig, und erst mit dem Überwuchern der Form in den Spät-
stilen, zum Beispiel im Barock, flüchtete die Farbe in die Innenräume.
Wir aber brauchen die Farbe wie keine andere Zeit, gerade im Außenraum, und daß der Schrei nach
der Farbe so laut geworden ist, ist die größte Hoffnung auf eine wirkliche Neugestaltung des Bildes,
das Städte und Dörfer bieten, und damit der gesamten Baukunst und der Kunst überhaupt.
Es werden freilich viele Zöpfe wackeln, und, wie jetzt schon, Entrüstungsstürme einsetzen, aber wenn
es gelingt, die Farbe als nicht gleichberechtigt, sondern geradezu als Hauptfaktor für die Gliederung un-
serer Straßen Wandungen durchzusetzen, so wäre unendlich viel gewonnen. Wer sich auf die Einzel-
formen an den Häusern unserer Großstadtstraßen zu besinnen versucht, wird bei sich selbst ein Fiasko
erleben; sie sind meist bedeutungslos. Die Farbe ist das einzige Moment, das mit rhythmischem Gefühl,
aber Entschiedenheit angewandt, Straßenbilder unserer modernen Städte gliedern kann — bewahre
uns nur der Himmel davor, daß eine neue Akademie für farbigen Städtebau sich auftut und schleunigst
das auf eine Formel zu bringen versucht, was natürlich durch allerlei Mißklänge, aber durch einen
Reichtum von Möglichkeiten hindurch eine neue künstlerische und damit stilistische Form schaffen kann.
Schulmeisterei und Sentimentalität sind die Erbteile der Deutschen. Und wenn auf der einen Seite
in sentimentalischer Weise mit den Altvordern Schindluder getrieben und von ihnen allerlei her geleitet
wird, woran sie im Traum nicht gedacht haben, so tritt die moderne doktrinäre Phrase, durch das über-
mächtige Schrifttum unserer Zeit unterstützt, ebenso tyrannisch auf. Sie bemächtigt sich allzu schnell
jeder Bewegung, läßt sie zum Schema erstarren und erwürgt sie.
Das gilt heute nur zu sehr auf allen künstlerischen Gebieten: die doktrinäre Phrase herrscht. Durch
ihr Ableiern allmählich zum Überdruß geworden, wird sie von einer nachfolgenden abgelöst, die sich
meist durch einen möglichst scharfen Gegensatz zu der selig verblichenen Einfluß erwirbt.
Und da es so bequem ist, sich an das Schlagwort der Phrase zu klammern und sich durch ihren Ein-
fluß die Richtigkeit der Formgebung bescheinigen zu lassen, vor allem aber aus Angst, nicht für voll
genommen zu werden, stürzt sich die Mehrzahl der Gebildeten und der Künstler der Phrase an den
Hals, um freilich nach dem Ablauf ihrer Einflußperiode die alte Liebe verschämt abzuleugnen.
Der Künstler soll und muß überhaupt nicht, wie es irgend eine künstlerische Bewegung vorschreibt-
er soll und muß nur vor seinem eigenen Gewissen. Er kann auch ganz ruhig sein: derselbe gewichtige
Kunstkritiker, der vor einigen Jahren noch nach Indien schrie, ist heute vielleicht wieder beim soge-
nannten Zweckstil gelandet.
Es ist auch kein Sturm und Drang, wenn die sogenannten Jungen dieselbe Phrase herleiern. Und
wenn zehn Künstler zusammen sitzen und genau dasselbe sagen, so lügen sie entweder, oder es sind
gar keine Künstler. Es nutzt auch garnichts, den alten Fetisch an die Wand zu schmeißen, wenn man
schleunigst einen neuen auf baut. Gegen die Phrase an sich, gegen jede ästhetische Schulmeisterei über-
 
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