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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Riezler, Walter: Qualiät und Form: Betrachtungen zur deutschen Gewerbeschau München 1922
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0036

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARREIT

schwemmt und so die einzige Schuld vor der Welt auf
sich geladen hatte, deren man Deutschland im Ernste
zeihen kann. Der Begriff schien einfach abzugrenzen: er
verlangte Verzicht auf die Verwendung minderwertiger
Stoffe, vor allem zur Vortäuschung edlerer, Ehrlichkeit,
Sorgfalt und Können in der Verarbeitung, Geschmack in
der Durchbildung. Niemand konnte behaupten, daß diese
Grundsätze nun etwa schon allgemein befolgt wurden.
Noch immer gab es allzuviel Waren, die das Gegenteil
von Qualitätswaren darstellten, aber die Menge der guten
Waren war gewachsen, und es hatten sich ja auch im Aus-
land die ersten Folgen dieser Gesinnungsänderung der
Deutschen gezeigt: man begann, nicht mehr die deutschen
Preise, sondern die deutsche Qualität zu fürchten.
Aber dieser Begriff der Qualität reichte nur da aus, wo
von einer eigentlichen Formengebung nicht die Rede war,
wo es sich im wesentlichen nur um die Verarbeitung, unter
Umständen auch Färbung von irgend welchen Stoffen
handelte. Auf allen anderen Gebieten, voran auf dem des
sogenannten Kunstgewerbes, überhaupt überall da, wo
einem Gegenstand eine bestimmte Form gegeben werden
mußte, war mit der Qualität der Arbeit im oben erwähn-
ten Sinne noch nichts getan, oder es forderte vielmehr
diese Arbeit selbst noch eine ganz andere Einstellung, die
sich nur in den seltensten Fällen aus Material und Zweck
wirklich eindeutig ergab: die Einstellung auf die Form.
Und der Sinn für die Form war im ganzen genommen
zum mindesten ebenso geschwunden wie der Sinn für
Qualität. Auf der einen Seite hatte die Maschine verrohend
und entseelend auf die Form gewirkt, auf der anderen
Seite war in Baukunst und Handwerk der Sinn für orga-
nische Form fast ganz erstorben; man setzte anstelle der
von innen gewachsenen Form äußere Formeln, die man
dem Stil vorrat verflossener Jahrhunderte mehr oder we-
niger sklavisch entnahm. Man müßte tief zu den Wurzeln
der Zeit hinabreichen, um den Zusammenhang dieser
beiden Erscheinungen, die an der Oberfläche gesehen von
einander unabhängig sind, erkennen zu können.
Was war zu tun, als die durch diesen Verfall der Form
geschaffene Not erkannt und schmerzlich empfunden
wurde? Es mußten Helfer in die Bresche springen, und
die konnten nur da gefunden werden, wo noch lebendiges
Formgefühl vorhanden sein mußte: bei den Künstlern.
Es ist bezeichnend für die ganze durch das formende
Handwerk und die damit zusammenhängende Industrie
seit den neunziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts
gehende Bewegung, daß sie von Künstlern geleitet wurde.
Und zwar waren es merkwürdigerweise im wesentlichen
nicht die dazu in erster Linie berufenen Architekten, son-
dern freie Künstler, die es nun für wichtiger hielten, für
die Bedürfnisse des Alltags schöne und geformte Dinge
zu schaffen als Bilder zu malen. Man darf diesen Männern
nie vergessen, was sie geleistet haben, daß sie tatsächlich
der Zeit aus einer schweren Not geholfen haben, — wenn
auch vor der Geschichte einmal der Weg, den sie ein-
schlugen, als ein Umweg erkannt werden sollte. In der
Tat ist heute wohl schon soviel klar, daß es unmöglich
war, auf diesem Weg direkt zum Ziele zu gelangen. Aber
so wie die Sache lag, mußte einmal zuerst dieser Weg
versucht werden.

Die Not entstand aus dem Verfall derformenden Instinkte;
man suchte sie zu heilen, indem man sich mit vollem Be-
wußtsein bemühte, von außen eine neue Form an die Dinge
heranzubringen. Man glaubte freilich,man schüfe von innen
heraus, und es war ja einer der großen, immer wieder be-
tonten Grundsätze dieser Bewegung, daß die Form ganz von
innen heraus, aus dem Material und Zweck des zu gestal-
tenden Dinges gefunden werden müßte. Aber man war nicht
imstande, diesen Grundsatz wirklich lebendig in die Tat
umzusetzen, weil man das Handwerk nicht beherrschte.
Nur dem ganz lebendig schaffenden, mit allem Können aus-
gerüsteten Handwerker wächst die Form des Dinges, das
er schafft, von selber zu. Es konnte unmöglich genügen, dem
Handwerker einige Handgriffe abzusehen oder sich nur da-
rüber unterrichten zu lassen, was in der einen oder ande-
ren Technik überhaupt ausführbar sei. Nicht einmal da,
wo der Künstler mit aller Leidenschaft bestrebt war, sich
in den Arbeitsprozeß des Handwerkers hineinzufühlen und
aus ihm die Form zu entwickeln, konnte das Ergebnis ganz
befriedigen. Denn diese Bemühung führte zumeist zu einer
allzustarken Unterstreichung und oft verzerrenden Über-
treibung dieser handwerklichen Formelemente: man merk-
te die Absicht und war oft verstimmt. Und in gleicherweise
führte die Betonung des Zweckgedankens, so begreiflich es
sein mußte, daß gegenüber der absoluten Zweckwidrigkeit
des größten Teils der damaligen Erzeugnisse die Zweckmäs-
sigkeit wieder in den Vordergrund gestellt wurde, oftmals
zu Verzerrungen: auch hier gab es zuviel Absicht, zuviel
Bewußtheit. Nicht wenige dieser Gegenstände schrieen ihren
Zweck gleichsam mit Fanfaren in die Welt.
Und noch eine andere Absicht stand der Bildung einer
natürlichen Form im Wege. Man wollte zeitgemäß sein um
jeden Preis. Auch hier war es wieder die ganz natürliche
Reaktion auf die vorhergegangene Preisgabe jeder Eigen-
art, auf die bis zur Selbstverleugnung gehende Unterord-
nung unter die Formen früherer Jahrhunderte. Aber weil
man nun mit aller Gewalt loskommen wollte von dieser
Sklaverei, hatte man nicht die Geduld zu warten, bis die
neuen Formen sich aus der neuen Menschheit von selber
bildeten. So verfiel man auf der einen Seite in einen sehr
gefährlichen Subjektivismus, verschrieb sich auf der andern
einer sehr ehrenwerten, aber nicht immer ergötzlichen
freiwilligen Armut, weil man auch diejenigen Formen
vermeiden wollte, die über alle Stilgebundenheit hinaus
längst zu immer gültigen Lösungen geworden waren, —
nur weil sich frühere Zeiten ihrer bedient hatten.
So stand gerade der Wille zur Form dem natürlichen
Wachstum der Form im Wege. Gerade das, was man ver-
meiden wollte, trat ein: Form und Gegenstand wurden
zu keiner natürlichen Einheit, sondern fielen auseinander,
und wenn dies da, wo eine wirklich ernste Formgesinnung
dahinter stand, immer noch erträglich war, so wurde es
überall da,wo die neugefundenen Formen nunmehr formel-
haft weiter verwendet wurden, wahrhaft unerträglich.
Man war zu einer Scheinform schlimmster Art gekommen.
Und diese Scheinform war es, die viele feinfühlige Menschen
von dem ganzen zeitgenössischen Kunstgewerbe abschreckte
und sie ungerecht werden ließ auch gegen die wirklich
ernsthaften Leistungen.
Wer die Bewegung vor dem Kriege genau verfolgte,

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