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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Lindner, Werner: Architektur und Ingenieurbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0072

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
minder hervorstechender Stileigentümlichkeiten, sondern geradeso wie viel ältere Beispiele technischer Bau-
ten bis zu den Aquädukten und Staumauern des Altertums, zu den Ingenieurbauten auch des Morgenlandes,
als charakteristische Ausdrucksformen der in der jeweiligen Aufgabe ruhenden Zweckgedanken zu werten
sind. Welch Eifer hat sich im 19. Jahrhundert entfaltet, die Ingenieurwerke architektonisch,romantisch,und
wenn es darauf ankam „heimatlich“ zu schmücken! Die Pleuelstange einer alten Dampfmaschine schwankte
als antike Säule mit korinthischem Kapitäl auf und nieder. Fabriken entstanden später wie Kirchen, Ritter-
burgen, Moscheen, dann ein Bahnhof mit Schilfdach, an das sich, handwerklich recht ungelöst, modern
überdachte Bahnsteighallen anschließen. Ein Wasserturm in leichtem Gittergerüst für den fernen Osten
wurde mit Chrysanthemen und Drachen geschmückt, deutsche eiserne Brücken, je nach dem Zeitgeschmack
jugendstilmäßig, nordisch ä la Stabkirchen, Umschalthäuser wie Knusperhäuschen, Teepavillons, Kirch-
türme en miniature usw. Diese nun vorübergegangenen Erscheinungen dürfen nicht als Spielereien,
sondern müssen als Ausfluß ernsten Strebens aufgefaßt werden, neue Probleme in inneren Einklang
mit dem Geist der Zeit zu bringen. Der Ingenieur, der denkende und fühlende Mensch, hat erst hin terher
über solche Abwege den Kopf zu schütteln vermocht. Inzwischen hat der Ingenieur und Bauingenieur
weiter gestaltet, Lokomotive, Walzwerk, Auto, Werkhalle, Silo, Verladebrücke, Hochspannungsmast,
Gasometer, sämtlich ohne „Stil“. Begeistert haben theoretisierende Kunstschreiber die Erleuchtung ge-
wonnen, der reinste Ausdruck des Zweckes wäre das zu erstrebende Ziel, das in sich ohne weiteres die
wünschenswerte schönheitliche Wirkung des Werkes berge. Sie haben ihre Mutmaßungen umso un-
gestörter entwickeln können, als sich die Fachleute von heute, so wie auch ehedem—über diese Rätsel
auszuschweigen pflegen. Es ist vor kurzem beispielsweise ein monumentales Werk über den Wasserwirt-
schaftsbau in Zusammenarbeit berufenster Fachleute entstandenen dem meines Wissens vom Kulturellen,
geschweige denn von der Zweckschönheit kein Sterbenswörtchen steht. Ein teils erfreuliches, teils be-
denkliches Zeichen. Jedenfalls sind diese Kunstkritiker mit ihrer Annahme beinahe auf die richtige Spur
gekommen. Unterdessen geht das Rätselraten zwischen Architekten und Bauingenieuren weiter hin und
her, wie weit, wann, von welchem Augenblick an der Architekt an Ingenieurwerken mitzuwirken habe,
ob beispielsweise bei Brücken in schönen Städtebildern der Architekt führen, die Ingenieurkunst nur „als
Correktiv“ mitzuwirken habe usw.
Wir stehen heute vor der Tatsache, daß die Ingenieure Bauwerke geschaffen haben, vor denen die
meisten Architekten einpacken können. Verglichen mit diesen Bauten atmen bisweilen Ingenieurwerke,
bei denen unsere besten Architekten mitgewirkt haben, etwas weniger Bestimmtes, etwas viel zu Eigen-
williges, etwas gewollt Bizarres und Groteskes. Der Ingenieur pflegt als nüchterner Rechner das
Typische, das in der Konstruktion liegt, das sich durch den Zweck des Werkes ergibt, von vornherein
zu erfassen. Beschränkt er sich darauf—für ihn pflegt es Beschränkung zu sein — dieses Wesentliche zu
zeigen, so kann durch Zufall oder durch eine gewisse, dem Ingenieur mehr oder minder innewohnende
schöpferische Gestaltungskraft ein vortreffliches Werk entstehen. Der Architekt sieht den edlen Typus
— vorausgesetzt, er ist wirklich einer von den sehr spärlich gesäten Künstlern—auch als Ziel an, aber
unter ganz anderem Gesichtswinkel. Ihn reizt das Eigenartige, er gibt der Stimmung viel mehr nach
und drängt mehr oder minder das rein Vernunftmäßige zurück. So entfernt er sich wieder leicht vom
Typus im besten Sinne. Dabei sind, um einige besonders überzeugende Beispiele herauszugreifen, alte
Bock- und Holländermühlen, alte Krane und neue Elevatoren oder Riesendrehkrane etwas so organisch
und bezeichnend Groteskes. Das ruht schon eben im Zweck der Anlage so verpflichtend fest, daß es
nicht erst künstlich oder künstlerisch individuell gesucht werden sollte.
Vergleichen wir nun, ohne aus Begeisterung für etwas absonderlich Neues blind geworden zu sein,

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