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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Pauli, Franz: Zum Formproblem des Lichtspiels
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0155

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Nicht weniger als drei Maler, Reimann, Röhrig und Warm, zeichneten verantwortlich für den
szenischen Aufbau des „Cabinets des Dr. Caligari“. Dem ersten, Reimann, scheint jedoch der Haupt-
teil an dem Werk zu gebühren. Mit einfachsten Mitteln ist hier durch den Zusammenklang von
Handlung und Bild die Wirkung einer stellenweise vollkommenen Illusion, die uns unwiderstehlich
in ihren Bann zieht, gelungen. Und das ist das wesentliche Zeichen für ein Kunstwerk.
Die Arbeit während der Aufnahmen im Atelier war, das wurde mir von den Beteiligten berichtet,
von einem Ernst und einer Hingabe getragen, die von dem gewöhnlichen Betriebe während der Her-
stellung eines Films gewaltig abstach. So kam es dann auch, daß die Hauptdarsteller, Krauss und Veidt,
Leistungen vollbrachten, die sie an innerem Wert nachher nicht wieder erreicht, geschweige denn
übertroffen haben.
Der Schauspieler ist ja, neben der Architektur, der wichtigste Rohstoff für das Lichtspiel. Als Träger
der Handlung muß er seinen Körper formen und gestalten. Mit sparsamsten Mitteln, in weisester Be-
schränkung muß er aus sich die größte Wirkungsmöglichkeit herausholen. Ein Vorbild sollte ihm da
der Schauspieler des fernen Ostens sein, der mit der Kultur der feinen überzeugenden Gebärde aufs
innigste verwachsen ist.
Jede Barbarei, jede Übertreibung im Film wirkt entsetzlich. Das Lichtspiel ist bewegtes Bild. Und
das Bild als Kunstwerk verlangt den konzentrierten Auszug von tausend verschiedenen Einzelstudien,
um allein durch das Herausbringen des fruchtbarsten Momentes überzeugend zu wirken. Zwar hat das
bewegte Bild vor dem stehenden den Vorzug, daß es anschwellen und abschwellen kann. Doch dieser
Vorzug entbindet nicht von der allem Rohen und Unausgeglichenen sich fernhaltenden sorgsamen Ge-
staltung und Formung. Am meisten sündigen gegen dieses Gesetz die Schauspieler der Sprechbühne,
die dort groß und ihrer Wirkung durch das Wort sicher, als Neulinge im Lichtspiel auftreten. Des
göttlichen Logos beraubt und der Gnade der bildhaften Gestaltung noch nicht teilhaftig stehen sie da
in ohnmächtiger Verzerrung.
Vorbild sollten auch die schwedischen Schauspieler sein. Obgleich die Regisseure der schwedischen
Filme — in erster Linie sind Stiller und Sjöström zu nennen — nicht darauf verzichten, die Natur
als Bildgrund zu benutzen, so verstehen sie es doch meisterlich, den Schauspieler so zu formen, daß er
als ein organischer Teil ihrer schwedischen Natur erscheint. Sie befleißigen sich einer derart gesteigerten
Sachlichkeit und Einfachheit, daß hier die Schauspielkunst der Schauspielnatur eines unbewußten
Kindes oder Tieres, die im Film so überzeugend wirkt, gleichkommt. Und die Wirkung der besten
dieser schwedischen Filme ist somit denn auch eine ästhetisch vollkommen befriedigende.
Soll das Lichtspiel sich zum Kunstwerk entwickeln, so muß es die Einheit der Form erreichen. Bis-
her ist es jedoch noch nicht gelungen, die verschiedenen Formelemente, die sich mischen, zu einem
befriedigenden Zusammenklang zu bringen. Weder im „Cabinet des Dr. Caligari“ noch im „Golem“,
wo vielleicht die stärksten Ansätze dazu zu verspüren sind.
Der Architekt schafft den Bildgrund. Der Regisseur stellt dann die Schauspieler herein, und prüft
man nachher die Wirkung, so fallen Bild und Schauspieler, die doch ein Formelement des Bildes sein
sollen, auseinander. Im „Cabinet des Dr. Caligari“ sind es nur Krauss und Veidt, die stellenweise har-
monisch sich in das Gesamtbild einfügen. Im „Golem“ ist eine Einheit trotz Wegeners Darstellungs-
kraft nicht erreicht. Er mußte allerdings, neben allem andern, auch mit der übermäßigen Schwierig-
keit kämpfen, gleichzeitig Regisseur und Hauptdarsteller zu sein. Dazu langt selbst die große Kraft
eines Wegener nicht, da naturgemäß durch das fortwährende persönliche Eintreten in die Handlung
die notwendige Distanz verloren geht.

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