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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0347

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Die „Natur“, in deren Namen jene Bewegung ihr Reformwerk unternahm,
forderte ihr Recht gerade gegen die Absichten jener Bewegung, benutzte diese aber
wohl, um zu neuen Möglichkeiten, die in der Zeit schlummerten, zu gelangen. Und
den Grundsatz der Sinnlosigkeit, gegen den in ihrem Namen der Kampf gegangen
war, nahm sie als ihr gutes altes Recht in Anspruch.
Vor allem blieb die Reformbewegung einem Bedürfnis gegenüber, das immer
stärker auftrat und durch dessen Geltung sich die „Mode“ erst deutlich von der
„Tracht“ zu scheiden begann, machtlos: demnach Wechsel der Mode. Man sah in
diesem Bedürfnis halb die Schöpfung der an dem raschen Wechsel geschäftlich
interessierten Modenindustrie, halb das Zeichen einer immer mehr um sich greifen-
den Zuchtlosigkeit und Entartung gewisser städtischer Gesellschaftsschichten, denen
gleichzutun leider bald auch bei den Anderen zum guten Ton gehörte. Man mochte
mit beidem nicht ganz Unrecht haben und verkannte dabei doch, daß auch hier eine
Naturmacht waltet, die zu vernachläßigen nicht angeht. Es ist eine gerade in der
letzten Zeit von Physiologen und Ärzten erst in ihrer ganzen Bedeutung erkannte
Tatsache, daß auf jeden „Reiz“, der ein Organ trifft, die „Ermüdung“ folgen muß, die
dieses Organ unter allen Umständen für den Reiz unempfindlich macht und es neue
Reize fordern läßt. Diese Erscheinung läßt sich durch das ganze physische und
psychische Leben der Menschheit verfolgen. Auch wenn man nicht so weit geht
wie heute manche, die hierin eine Urtatsache sehen, auf die aller Wechsel, alle
Polarität und Periodizität zurückzuführen ist, darf man die Bedeutung dieser Tat-
sache nicht unterschätzen. Sie liegt ganz sicher auch dem Wechsel der Mode zu-
grunde. Daß hier der Wechsel rascher erfolgt, die Ermüdung eher eintritt als bei
andern Reizen, hegt an der Oberflächlichkeit dieser Reize, zugleich aber auch an der
Tatsache, daß die Gesellschaftsschicht, die für die Gestaltung der Mode maßgebend
ist, allerdings in einem sonst wohl unerhörten Grade „überreizt“ und daher sehr
rasch zu ermüden und auf immer neue Reize angewiesen ist. Der Kampf gegen diese
Sucht nach raschestem Wechsel ist sicherlich eine gute Sache. Man wird auch etwas
erreichen können, wenn es gelingt, in Fabrikantenkreisen immer mehr die Über-
zeugung zu verbreiten, daß man durch Schaffung von Mustern höchster Qualität,
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