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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pecht, Friedrich: Der Humor in der deutschen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0014

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2 Der Humor in der deutschen Kunst

eben Auferstehender, sonst völlig nackt, sich entsetzlich abmüht, in größter Eile die Stiefel anzuziehen. —- Das
stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert, wo selbst ein Giotto noch nicht an dergleichen dachte. Ohnehin
trugen die in der Litteratur so witzigen Griechen und Römer wie ihre Nachfolger, die Italiener und Fran-
zosen, wenig davon in ihre Kunst über. Wohl weil hier mit ganz anderen Mitteln gewirkt wird, die ihnen
noch nicht zu Gebote standen. Die schärfere Betonung des Individuellen und Charakteristischen gehört
eben durchaus der modernen Kunst und zwar den germanischen Nationen an. Die alte behilft sich meist
mit Typen.

Versuchen wir es also, die Grundzüge der deutschen, humoristischen Darstellung, wie sie sich bei uns
sogar ziemlich selbständig von der ihr zeitlich vorausgehenden nationalen Dichtung entwickelt hat, fcstzustellen.
Wenn im Gedicht die Figuren nur durch ihre Dialektik lebendig und individuell gemacht werden können, so
geschieht dies in der Kunst durch das Bildnis, dann durch die Gebärde und Bewegung. Das sind also ganz
verschiedene, d. h. eben malerische Mittel. Von der Satire unterscheidet sich der Humor dann offenbar da-
durch, daß jene ihr Opfer vernichten möchte, während der Humor Freude an dem Kerl hat, den er schildert.
So ist z. B. Reineke im altdeutschen Gedicht sogar ein allen anderen überlegener Held, ja selbst der' Teufel
ist durchweg mehr Schalk als Bösewicht. Das Komische in der Schilderung liegt gewöhnlich im Mißver-
hältnis des Thuns der einzelnen mit ihren dazu verwandten Mitteln oder des Kontrastes der Person zu
ihrer Absicht. So z. B. wenn der Fuchs den Gänsen predigt. Offenbar wäre es aber noch viel feiner
komisch, wenn der Fuchs ein wirklicher Prediger, die Gänse wirkliche Damen wären, statt bloßer Charaktertypen.

Entsprechend den Gewohnheiten der romantisch-klassizistischen Schule, geht nun der erste große Humorist
der deutschen Kunst unseres Jahrhunderts, Ka ulbach, über diese bloß typische Auffassung allerdings selten
hinaus. Ja er entwickelt überdies eine pessimistische Weltanschauung, die mehr an die Satire streift oder viel-
mehr an den sogenannten Judenwitz, der nicht nur nichts schont, sondern mit Vorliebe gerade das Edle,
Große und Verehrungswürdige lächerlich zu machen und dadurch dessen Existenz überhaupt zu bestreiten sucht.
Die Welt ist schlecht und gehört dem Stärksten oder Listigsten, die Tauben und Gänse sind nur dazu da,
gerupft und gebraten zu werden. Man muß sich darum schon erinnern, daß Kaulbach den Reineke in den
dreißiger Jahren, also während hoffnungsloser Versumpfung des deutschen Lebens und unter dem Einflüsse von
Börne und Heine schuf. Er ist darum die vollständigste Kriegserklärung gegen die damalige offizielle Welt
geworden. Dabei entwickelt Kaulbach aber trotz der schon durch die Tierfabel gebotenen typischen Auffassung
doch bereits in der Bewegung seiner Figuren einen großen Reichtum von der Natur abgelauschten Zügen,
besonders aber einen Überfluß an komischen Einfällen. So wenn er z. B. den Ochsen seinen Orden am Horn
tragen, oder dem König Nobel als Hausvater in der Wochenstube so majestätisch deu Schwanz zum Knopfloch
herausschauen läßt. Da ist er überall klassisch und unübertrefflich. Den Übergang zu den Realisten bilden
dann Schwind und Ludwig Richter, wohl die echtesten Humoristen, welche die Schule hervorgcbracht. Er-
obert der erstere in seinem unvergleichlichen Ritter Kurt der schalkhaften Darstellung unsere ganze mehr oder
weniger romantische Vergangenheit mit all ihrem Märcheuglanz, so trügt er zugleich auch den köstlichsten Humor
in die landschaftliche Umgebung seiner Figuren über, gestaltet Bäume und Felsen wie Bauwerke nicht weniger
drollig, eigensinnig und echt deutsch zugleich als die Menschen, die bei Kaulbach in ihren Tiermasken selbst
verständlich keine Nationalität haben. Diesen starken, spezifisch nationalen Zug und das mit dem feinsten
Schönheitssinn gepaarte sichere Stilgefühl, das uns sofort in die freie Welt der Dichtung hebt, hat Schwind
denn auch vor allen anderen deutschen Humoristen voraus. Sogar vor Ludwig Richter, der ebenfalls Berg
und Thal, Busch und Blume beseelend, bereits aber auch zu individuelleren Schilderungen übergeht, die freie
Märchenwelt mit sächsischen Spießbürgern, die anmutigen Thäler mit in die „Boomblut" spazierengehenden
„Kalkulatersch" bevölkert, die er alle in „Drähsden" aufgelesen. So gibt er seiner Dichtung einen köstlichen
lokalen Untergrund, wo selbst Ochs und Schaf wie die Tauben auf dem Dach und die Enten im Pfuhl ihren
Platz finden. Ideal und Wirklichkeit, Engel und Kinder, Ritter und verzauberte Prinzessinnen sind aber auch
bei ihm noch durchaus von den frommen sächsischen Philistern getrennt, wie der letzteren Kohl und Rüben
von den Orangen und Blüten der Märchenwelt, ja durch ihren beständigen Gegensatz entsteht erst der Humor.
— Auch bei Richter gehören der Himmel und die Kartoffeln dem gläubigen, geduldigen Volk, die Fasanen
und der Champagner den Rittern und Bnrgfräuleins, was sich bei dem durchaus aristokratischen Herrn von
Schwind ohnehin von selbst verstand.

Es blieb den Realisten Vorbehalten, die Güter dieser Welt etwas billiger auszuteilen und sich nicht
mit den Anweisungen auf den Himmel zu begnügen, mit welchen die „Heiligen und die Ritter" ihre Schulden
zu bezahlen pflegten. Das Jahr 1848 bewirkte, wie so vieles andere, auch diese Entkleidung des mehr oder
weniger aristokratischen Charakters des Humors und die Verpflanzung seines Schauplatzes in die Bürger-
und Bauernstuben. Hier nahm Spitzweg für Süddeutschland die Stelle Ludwig Richters ein und eroberte
ihm da ein ungeheueres Gebiet durch seine urkomischen Schilderungen unserer verzopften Philister und all der
sonstigen Absonderlichkeiten, die aus der Zeit des heiligen römischen Reichs sich in die unsere hinübergerettet.
 
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