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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pecht, Friedrich: Der Humor in der deutschen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0015

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vom Herausgeber

3


Er umgibt dies enge Dasein aber mit einem Schimmer von tiefer Gemütlichkeit und liebenswürdig drolliger
Laune, wie es selbst Jean Paul kaum gelang, dem er am meisten verwandt ist. Unähnlich diesem gibt es
dagegen Aristokratie nicht mehr bei ihm, wo der Herr Bürgermeister die Rolle der Vorsehung übernimmt und
die „Heiligen" einander die Bibel an
den Kopf werfen. Über Bayern geht
er vollends selten mehr hinaus. Noch
weniger thut es En Huber, der dafür
die oberbayerischen Bauern so unüber-
trefflich charakterisiert. So in seinem
köstlichen „unterbrochenen Kartenspiel",
das nun zum erstenmal scharf aus-
geprägte Charaktere bringt und in seinem
Müller, Schmied, Forstwart, Haus-
knecht, Austrägler, oder dem vor seiner
eintretenden Xantippe unter den Tisch
gekrochenen Schneider, ja selbst dem Hand-
werksburschen unvergleichliche Meister-
stücke derb volkstümlicher Charakteristik
gibt, während noch Bürkel, der frühe-
ste unserer Realisten, sich doch mehr
mit Typen begnügt hatte.

Grützner, Hugo Kanffmann, Baum-
gartner, Jgler und hundert andere gehen
im Grunde alle nur auf dem Wege
lustiger Schilderung des bayerischen
Volkslebens weiter, den Enhuber ein-
geschlagen, sie aber mit einer so langen
Reihe köstlicher Figuren bereichert haben,
daß man sich in der ganzen alten Kunst
vergeblich nach dergleichen umsteht. Denn
das Volk als solches ist sich nun endlich
Selbstzweck geworden und sammelt nicht
nur demütig die Brosamen, die von der
Herren Tisch fallen, ja selbst der aristo-
kratische Ramberg bringt ihm in Hermann
und Dorothea und Voß' Luise oder
den köstlich schalkhaften Bauernbildern
seineHuldigung dar, während die „Ritter"
fast ganz den Platz geräumt und nur
die sehr wohlgenährten „Heiligen"
triumphierend auf demselben gelassen
haben, wo ihnen höchstens Grützner
einen neckischen Krieg macht.

Beinahe gleichzeitig mit Enhuber
trat Knaus in die vorderste Reihe unserer
Humoristen und vertrat nun die rheinische
Art, wie jener die altbayerische. Ward
er bald der Homer aller Schusterjungen,
so schilderte er auch mit Vorliebe die
Kinder überhaupt und sein „Wie die
Alten sungen, so zwitschern die Jungen",

findet in der feinen Individualisierung der Kindercharaktere sicherlich bei der gesamten alten Kunst nicht seines Gleichen,
sowenig als in dem sprühenden Humor. Ein Meisterstück sarkastischer Laune gibt er dann in dem „Se. Durch-
laucht" im Vorbeipassieren durch ein hessisches Dorf schildernden Bild, wo vom steifen Herrn selbst bis zum
Nachtwächter jeder ein Muster fein komischer Charakteristik ist, jeder unser Lachen reizt, obwohl keiner eine
Ahnung davon hat. Es wäre unmöglich, die faule Wirtschaft bei uns drastischer zu schildern, der gleich darauf
das Jahr 1866 ein Ende bereitete. Es samt dem noch wichtigeren 1870 markiert aber auch eine merkwürdige




Porträt, von Ferd. Keller
 
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