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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Lang, Heinrich: Am Abend der Schlacht bei Sedan: (1. Sept. 1870); aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0083

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Am Abend der Schlacht bei Sedan, von Heinrich Lang

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die Feldmütze im Genick sitzt, man meint fast, die Ohren
seien dazu da, sie zu halten: kräftig genug sind sie ge-
formt. Unter der Mütze kommt noch ein Stückchen sehr
bestimmt zugeschnittenes Haar zum Vorschein, welches
den hageren, durch starke Hautfalten charakteristischen
Nacken bei gewissen Bewegungen des Kopfes manchmal
sehen läßt. Mittlerweile hat Kollege Lenbach das bekannte
geistvolle Antlitz unseres genialen Feldherrn wiederholt
verewigt, meine kurze Schilderung ergänzt es — die
entgegengesetzte Ansicht skizzierend — zum Plastisch-
Runden.

Auf den wuchtigen Sarras gestützt, steht der eiserne
Kanzler dort, im dunklen, doppelreihigen Überrock der
7. Kürassiere, der seinen Thorax noch mächtiger erscheinen
läßt, mit der weichen, nach rückwärts dressierten Mütze
den Kopf beinahe „fesch" (jedenfalls nicht diplomaten-
mäßig) ausstafsiert; die kräftigen Beine geben in den
hohen Reiterstiefcln breitspurig eine höchst solide Basis:
der steht fest, den schmeißt so leicht keiner um, das
ist ein Mordskerl! Er hält merkwürdig ruhig — ich
könnte ihn ganz gut zeichnen; der Profilkopf, wie er
sich mir bietet, ist eigentlich noch charakteristischer durch
die außergewöhnlich starke Wölbung der Augen und den
dicken Schnurrbart, als die Ansicht en face, welche an
Energie der Form dem Profil nachsteht.

Da ist noch so ein großer, flotter Schnurrbart
— das ist Herr v. Roon, der Kriegsminister und daneben
der starke Herr mit dunklem Kotelette-Bart General v.
Podbielsky — er spricht mit einem jüngeren Herrn,
wahrscheinlich einer fürstlichen Persönlichkeit. Ja, „wer
nennt die Namen" ? Das ist ein illustrer Kreis, der
hier versammelt dem Abschluß des großen Tagewerkes
von heute gespannt entgegensieht an einem Punkte, von
dem aus und an den zurück alle die zahllosen Fäden
gehen, an denen das Schicksal zweier großer Armeen
hängt. Jeder der hier Weilenden hat seinen wohlge-
wogenen Teil daran; es ist eine Art feierlicher Empfin-
dung, die den simplen Beobachter hier überkommt; un-
willkürlich sollte man den Hut abnehmen und die Zigarre
wegwerfen — aber sie rauchen ja meist selbst!

Dort unten fängt es jetzt aber auch zu rauchen an.
Links in Sedan geht ein Brand auf, der hat eine Art!
Gewiß ein Magazin mit Heu oder Stroh. In unglaub-
licher Schnelligkeit hat sich ein kolossaler Ballen weißesten
Rauches in Form einer ungeheuren Pinienkrone gebildet,
der den ganzen östlichen Teil des Schlachtfeldes tief
überschattet. Nie in meinem Leben hatte ich einen solch
riesigen kompakten Dampf gesehen; er überwog augen-
blicklich in seiner ruhig schwebenden Masse entschieden die
braunen, dunklen, mehr stoßweise qualmenden Brandwolken
aus dem unglücklichen Bazeilles.

Da kam auch eben der Kronprinz mit seiner Suite
angeritten (unter welcher ich ein paar Zivil-Filzhüte be-
merkte) von einer Ulanen-Eskorte begleitet — ach, das
gab wieder einen großartig erhebenden Moment, die
rührende, freudige Begrüßung zwischen Vater und Sohn,
die sich herzhaft umhalsten, während ihre edlen Kämpen
siegesfroh sich gegenseitig begrüßten, alle in hoher Be-
geisterung über den glorreich endenden Tag. Hurra,
hoch und Vivat hätte ich ja auch gern rufen mögen zu
dem herrlichen Schauspiel, welches mir das Glück zu sehen
und mitzuerleben vergönnte! Das sind Momente, die man
nie vergißt, und eine liebe und herzerfreuende Zugabe

Die UunS für All- UI

wird es mir immer bleiben, daß ich in diesem großen
Augenblick plötzlich zwischen all den dunklen Uniformen
das heimatliche Hellblau erblickte: Unser allverehrter Prinz
Luitpold kam durch den Kreis geschritten, begleitet von
seinen Adjutanten Baron Limpöck und Hauptmann v.
Freyschlag. Wie ich abends von General Lutz erfuhr,
war Se. kgl. Hoheit in unseren Artillerie-Positionen vorn
in der Feuerlinie gewesen, welche man von hier aus
prächtig übersehen konnte.

Jetzt war Gelegenheit geboten, von dem noch über-
sichtlicheren Standpunkte hier oben meine Zeichnung von
heute früh in der Batterie La Roche zu revidieren; ich
fand genügend Zeit und Ruhe, einiges bestimmter zu
zeichnen, an der Hand der Karte die Namen der Orte
und die nun in ziemlicher Anzahl bemerkbaren Brände
zu notieren, ebenso die Situation des Vordergrundes und
die durch ihn veranlaßten Überschneidungen anzufügeu und
ganz rechts die stolze Bemerkung hinzusetzen: Standpunkt
des großen Hauptquartiers während der Schlacht.

Im warmen Licht der abendlichen Sonne wirkte
das Ganze auch koloristisch ganz wunderschön, und ich
war jetzt plötzlich wieder so ganz Maler, daß mir einer
der interessantesten Momente des ganzen Krieges, welcher
sich nun abspielte, wenigstens teilweise verloren ging.
Es kam nämlich ein kleiner Reitertrupp von der Straße
aus Frenois her gegen uns die Höhe heraufgeritten, unter
ihnen ein hoher französischer Offizier, gewiß ein Parla-
mentär. Eine kurze Strecke von uns saß man ab, der
Franzose ward herauf geleitet und vor den König geführt,
welchem er etwas übergab. So weit hatte ich den Vor-
fall, der sich vielleicht 50 Schritte von mir zutrug, ver-
folgt, als mir die Koppel der unten mit den Ordonnanzen
gebliebenen, bergauf stehenden Pferde so glücklich gruppiert
erschien, daß ich sie sofort zu zeichnen begann und dadurch
die Beobachtung dessen versäumte, was sich in meiner
nächsten Nähe vollzog. Es war der bekannte Brief
Napoleons, den General Reille überbracht hatte, und nach
welchem der Kaiser sich dem König gefangen ergab.

Es ist in allen möglichen Versionen erzählt worden,
wie König Wilhelm seine Antwort abgefaßt habe; nach
der einen soll ihm Bismarck seine Brieftasche dazu ge-
geben, nach der andern Moltke einen Stuhl als Unter-
lage zum Schreiben gehalten haben, wieder eine andere
Lesart behauptet, der Herzog Ernst von Koburg hätte
seinen Rücken zum königlichen Schreibepult offeriert! Ein
einziger Blick hätte mich in die Lage versetzt, die Richtig-
keit einer oder der anderen, oder die Falschheit sämtlicher
„Legenden" zu konstatieren — aber, wie gesagt, der
Maler war in diesem Augenblick beschäftigt, und als
der Mensch sich wieder ein bißchen nach der Weltge-
schichte umsah, stand wohl der Herzog von Koburg dem
König zunächst, und hätte also die ihn betreffende Legende
vielleicht Berechtigung auf Wahrscheinlichkeit.

Noch hatte ich natürlich keine Ahnung, worum es
sich eben gehandelt — nur daß es etwas von Belang
gewesen sein mußte, war mir aus der Bewegung und
der lebhaften Konversation der einzelnen Gruppen des
großen Hauptquartiers unzweifelhaft.

Das Feuer hatte überall nachgelassen oder ganz auf-
gehört, die Schlacht war zu Ende. Auch die Sonne neigte
sich schon stark dem Horizont zu, und der Magen, mir
mit einigen winzigen Schokoladetäfelchen tagsüber „be-
lastet" begann höchst eindringliche Mahnungen, daß der
 
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