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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Lang, Heinrich: Am Abend der Schlacht bei Sedan: (1. Sept. 1870); aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0084

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S8

Am Abend der Schlacht bei Sedan, von Heinrich Lang

Mensch noch nicht einmal dejeuniert, geschweige denn
diniert habe. Mein Gott! Jetzt ist gerade die Zeit,
wo man daheim in München auf den Keller geht, unter-
wegs ein paar „Regensburger", ein Stück Emmenthaler
oder einige saftige „Radi" mitnimmt und dann der ersten
schäumenden „Maß" entgegeneilt! Wie niederträchtig
reizend die Phantasie diese sonst alltäglichen Dinge mit
einem Goldton der Poesie zu lasieren versteht! Aber da
trauert mein armes Roß, der gute Kerl, der heute wirk-
lich mehr geleistet, als ich erwarten und fordern konnte

— er hat für den Entgang seiner Atzung und Labung
nicht einmal den moralischen Ersatz, welcher seinem
Herrn zur Bannung obgenannter Phantasiegebilde helfen
kann. Gerade als ich mich dem guten Tier zuwandte,
um auf gut Glück einen Versuch zu seinen gunsten zu
unternehmen, sprach mich ein preußischer Soldat, der
meine Absicht erraten haben mochte, in freundlicher Weise
an und empfahl mir, wenn ich etwa mein Pferd tränken
wollte, einen vorzüglichen Brunnen in dem nächstge-
legenen Dorfe. Nachdem ich mich über Richtung und
Entfernung informiert, machte ich mich auf den Weg,
zog mein Rößlein, ähnlich wie der gute Ritter in Uhlands
„Schwabenstreich" am Zügel hinter mir her und fand
nach etwa 20 Minuten in der That ideal herrliche Ge-
legenheit zu tränken. Es war ein großes, eisernes Bassin
von den Dimensionen eines kleinen Zimmers, aus einem
Brunnen mit laufendem Wasser gespeist und merkwürdiger-
weise ganz spärlich besetzt, so daß ich gleich für mein
mattes Pferd Platz genug fand. Auch mir mundete das
frische Naß köstlich und nachdem wir uns beide genugsam
erquickt, trat ich den Rückweg an. Es dämmerte bereits
stark, und ich blieb auf der Straße, um sicher keinen Irr-
weg zu riskieren. Ich war aufgesessen und fühlte meines
Berbers zügigen Schritt mit sehr zufriedenem Behagen

— in solcher Zeit ist ein frisches Pferd gar viel wert.

Links im Feld war ein größeres Biwak; ganz nahe
an der Chaussee sah ich an einem beleuchteten Tische
einige Offiziere sitzen, die offenbar soupiert hatten. Unter
dem Klingen ihrer Gläser hörte ich einen sagen: „Seht
nur, welch schönes Pferd!" Augenblicklich hielt ich,
apostrophierte gleich den Sprecher, daß die Schönheit
meines Tieres bei solchen Futterverhältnissen, wie gestern
und heute, bedeutend Gefahr laufe, abzunehmen, und
verband damit die Bitte, mit ein paar Händen voll
Hafer dieser drohenden Gefahr vorzubeugen. „Kommen
Sie nur herüber, Herr Kamerad" — replizierte man in
liebenswürdigster Weise — „da kann geholfen werden,
und auch für Sie steht ein Schluck Wein und eine Zigarre
zur Verfügung. Eßbares ist aber leider nicht mehr
vorhanden." Ich folgte natürlich begeistert dieser freund-
lichen Einladung, meinem Berber wurde ein praller
Futterbeutel umgehangen, und ich nahm an dem Tische
der gastlichen Herren Platz, welche eine Munitionskolonne
führten, und mit denen natürlich ein äußerst lebhafter
Diskurs über die heutigen Erlebnisse in Zug kam. Ich,
der Zivilist und gar der Maler, war ihnen offenbar
auch eine neue Erscheinung in ihrem bisherigen Kriegs-
leben, und da sich in einer halben Stunde ein solch
frisches Interesse nicht abstumpft, nahmen wir, beiderseits
offenbar sehr von einander befriedigt, wirklich kamerad-
schaftlichen Abschied. Froh über diesen glücklichen Erfolg
trabte ich auf derselben Straße, welche wir heute früh
mit der Artillerie gezogen, dahin und begegnete öfters

jubelnden Soldaten, welche mich alle gleichmäßig mit
einem „Hurra" und dem sonderbaren Ausdruck „Napoleon
kaput" anriefen. Endlich frug ich einen, ob das nur
der Ausdruck der Siegesfreude sei oder was Besonderes,
etwa Napoleons Tod zu bezeichnen habe, und erfuhr
erst jetzt die Bedeutung dessen, was ich vor zwei Stunden
selbst mit erlebt hatte!

Es war ein merkwürdiger Anblick und Eindruck,
der sich mir jetzt bot: das Schlachtfeld bei Nacht!
Überall lohte cs stärker oder schwächer, das glimmende
Bazcilles, nebenan Balan mit noch recht lebendigem
Feuer, in und über Sedan draußen eine Anzahl klei-
nerer und größerer Brände, dazwischen all die „Wacht-
feuer und in weiter Ferne aus den preußischen Linien
die langgezogenen, würdigen Akkorde alter Choräle „Nun
danket alle Gott" oder „Allein Gott in der Höh' sei Ehr!"
Bei uns herüben erklang das „Deutsche Vaterland" und
das herrliche Lied, das uns überall geleitet, die Wacht
am Rhein", von den Rcgimentsmusiken dem tausend-
stimmigen Chor begleitet. Es war ein großartiger, ernster
Moment — als plötzlich vor mir das alte Juxlicd
erklang: „O Napoleon du Schustergeselle, o wie saßest
Du stolz auf Deinem Throan". Da war ich bei un-
seren Batterien angekommen; tapfere fränkische oder
schwäbische Kanoniere hatten mich vom Ideal zur Wirk-
lichkeit zurückgesungen. Dort bei der Artillerie erfuhr ich
auch, daß unser Korpsstab sich in Frenois einquartiert
habe; dahin ritt ich, gab mein Pferd an einen unserer
Ülanen, der meinen Burschen schon zu finden hoffte, im
Schlößchen ab, wo eine unheimliche Thätigkeit, wie vor-
gestern in der Kirche zu Sommauthc, herrschte und lehnte
auch deshalb die mir dort angcbotene Gastfreundschaft dankend
ab. Ein paar hundert Schritte weiter traf ich in einem
Garten einige gute Gesellen, die mich hereinriefen, wenn
ich Nachtlager und Kartoffeln, die sie eben gefunden, mit
ihnen teilen wollte. Das ließ ich mir nicht zweimal
sagen, trat ein und fand sie — es waren ihrer vier —
beschäftigt, etwa 25 Stück jener edlen Frucht zu braten.
Wein war genügend vorhanden, und wir soupierten
gustios. Die paar Erdäpfel waren, natürlich mit ctwclchen
Tropfen Bordeaux, Burgunder re. begossen, ein wahrer
Hochgenuß. In dem Häuschen befanden sich mehrere
Matratzen; sie reichten gerade für unsere Kopfzahl aus,
und obgleich die Beleuchtung eine höchst spärliche, kam
in der Verteilung und Benützung dieses jetzt so hoch zn
schätzenden Materials keinerlei Irrtum oder Mißver-
ständnis vor.
 
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