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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [1]: ziellose Reisebriefe eines Malers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0267

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204

Wa die Sonne scheint

Ziellose Reisebriese eines Malers. Von R. v. Zevdlitz

I.

as ist auf Reisen häßlich eingericht't, daß mau vom
vielen Geld muß scheiden — und auf Reisen wird
ja alles Geld zur Scheidemünze! Es sollte einer 'mal
die Kunst studieren, als blinder Passagier zu reisen, und
darüber einen kleinen Leitfaden schreiben; dem dürfte wohl
Ruhm und Ehre blühen, und nicht nur sein Verleger,
auch das gesamte Reisepublikum würde ihm vor jedem
Hotel und vor jeder Bahnhofskasse ein Standbild er-
richten. — Und noch einer verdient ein solches Monument
der Dankbarkeit: der reisende Engländer. Denn wo
wäre die Bequemlichkeit der Reise, wenn er nicht überall
seinen Landsleuten und andern Nationen durch konsequentes
Verlangen guter Beefsteaks den Weg durch die Welt ge-
ebnet hätte? — Mancher beklagt sich freilich, daß die edle
Kunst des Weltwanderns dadurch teurer geworden sei.
Allerdings, der Urweltwandrer Wotan und andere vor-
zeitliche Reisende zahlten keine Fahrtaxe mit Stempel-
zuschlag und Agiogebühr; und von den heiligen drei
Königen heißt's im Volkslied: „sie essen und trinken, und
bezahlen nicht gern." Und von jenem orientalischen
Prinzen wissen wir aus „Tausend und einer Nacht", daß
ihn der Vogel Noch gratis mit rasender Schnelligkeit
über Meere und Länder trug; schneebedeckte Gebirge,
weite Ebenen, große Städte und das gewaltig wogende
Meer sah jener unter sich dahiuziehen, und im Palmen-
haiu auf der Insel der Glückseligen setzte ihn der Riesen-
vogel sanft auf die Erde.

Mir ist's gerade so ergangen. Und ganz einfach:
ich beschwor unfern modernen Vogel Roch, und er kam
und nahm mich mit: die Alpen und Oberitalien, Venedig,
Triest und die blaue Adria schwanden eilends dahin, und
in Korfu faßte ich festen Fuß. War erst das Bündel
geschnürt, und der wvhlgespitztc Stift in der Brusttasche
verwahrt, der auf Reisen zur Verübung von Skizzen
ohne Zahl, wie auch im 'Notfall zur Abwehr mörderischen
Überfalls dienen kann: wie schnell erfaßte mich da „der
Strudel mit rasendein Toben" — und er riß auch mich
„nach oben", nach unfern blauen Bergen. Der brave
Dämon, den ich gezähmr, und der uns zur Winterszeit
nicht nur vorwärts bringt, sondern auch unterwegs wärmt,
umhüllt bald den Zug und die Landschaft mit dichtem
Gewölk, die Laternen auf den Bahnhöfen, die Reisenden
und die Schaffner, alles schimmert gespenstisch durch
dicken weißen Brodem, die Scheiben des Koupecs scheiden
ein Wasser vom andern: drinnen fließt der Niederschlag
herab, den die fast zu tropische Temperatur des Wagens
erzeugt, und draußen in der finstern Novembernacht regnet
es alpenhaft. In solchem Augenblick sieht das herrliche
Innthal genau so aus, wie die Gegend zwischen Ülzen
und Stendal unter gleichen meteorologischen Bedingungen.
Mit Wehmut hört man durch die herabsinkenden
Schleier des Schlafes hindurch noch einige liebgewordene
Ortsnamen ausrufen, und in die ersten Träume hinein
webt noch etwas von Herdenglocken, Waldduft und blinken-
den Firnen; Sommerreminiszenzeu vom blauen See, der
Perle Tirols, die jetzt da oben den Winterschlaf hält . . .
und wie seine Wogen brausen und das Schifflein tanzt.

Doch nein, nicht die Wellen des Achensees, es sind
eilig jagende Wogen flimmernden Schnees, der Odem des

Winters fegt sie dahin, daß sie blitzen im blauen Mondes-
licht: — und da, wären wir in Sibirien oder auf dem
Brenner, 's ist gleich. Hier oben hült's keine Wolke aus
am klaren Himmel der eisigen Winternacht, geschweige
denn ein Schnellzug. Bis zum Gürtel arbeitet sich durch
den Schnee, wer vom Zug in das einsame verschneite
Stationshaus hinüber will, wo eine einzige trübe Laterne
flimmert und der zitternde Ton des elektrischen Glöckleins
frostig durch den Sturmwind klingt. Schnell gehts weiter:
eben will ich einschlasen — da hält der Zug im Schnee,
auf der Strecke: Rufen und Laufen; ein Signal fehlt.
Doch bald schimmerts durch das wirbelnde Gestöber, und
weiter gehts, dem Süden zu. Schade; ich freute mich
schon auf einen Judianerüberfall so a In Fort Kearney,
mit Revolverschüssen und hohlen Bäumen. Bald aber
schmelzen solche heroische Gelüste in der wohligen Wärme,
die die Koupeepolster umschwebt, und die sibirisch-pazifische
Alpenepisode der Reise ist — erlebt. Gut' Nacht,
Norden!

Kleine grellgelbe Wärterhäuser sind im Schein des
neuen Tages die ersten sichtbaren Konzessionen Österreichs au
die Italin irreckenta: Au der Eisack noch sahen sie ganz
so aus wie jenseits; an der Sprachgrenze aber wandelt
sich alles, und so auch die Wärtcrbudenarchitektur ins
Welsche. Vom malerischen Standpunkt ist nichts dagegen
cinzuwenden: die brauuviolctten Felsen, hie und da mit
goldgelbem und rotem Laubwerk verziert, verrauchte Wohn-
häuser, himmelblaue Kirchensassaden, eine schüchterne Cy-
presse dazwischen, und unten die schöne blaue Etsch. —
Feierlich muß ich hier, und öffentlich, der Etsch abbitten;
in meiner Erinnerung war sie unzertrennbar verwachsen
niit den Schreckenstagen von 1882. Damals war es
ein wüster Kumpan, rasend schleifte er die Trümmer, die
seine Wut gehäuft, zu Thal. Vor Wut und Zorn gelb-
braun war der Geselle. Unter den finstern Felshängen,
über zerstörte Ansiedelungen hin, im grauen trostlosen
Schleier unendlichen Wolkeubruchs fuhr er ungebärdig
ins welsche Fruchtland hinaus. Heute murmelt das
sanfte Wässerlein, lieblich über Kiesel hüpfend, und lächelt
uns mit dem blauen Auge der Unschuld an; fast boshaft
ist solche unbegreifliche Friedfertigkeit. Lacht die Nixe
der Etsch über Reisende, denen in Ala die Koffer bis
zur radikalen Vernichtung aller Ordnung umgekvühlt
werden? Oder weiß die Hämische, daß unser Zug mit
fahrplanmäßiger Verspätung über die Drehscheiben von
Verona stampfen wird, und daß wir den Zug nach
Venedig versäumen?

Indes was kümmern uns ungezogene Nixen. Ein-
mal endlich geht ja doch wieder ein Zug nach der La-
gunenstadt ab, und die Zwischenzeit weiß der höfliche
Reisende damit auszufüllen, daß er St. Zeno, den Grä-
bern der Skaliger und der Piazza d'Erbe Anstands-
besuche macht. Ich spreche von Höflichkeit und Anstand,
denn mehr gestattet der Vogel Roch uns nicht. Kaum daß so
ein armes Malerherz wieder die wahre Lebenslust, die
seines Italiens, fühlt, kaum daß das im Norden zum
Darben verurteilte Auge endlich wieder die heitere Fülle
der Farben erblickt, kaum daß das beschämende Gefühl
in uns auftaucht: warum bist du deinem Italien je un-
 
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