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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Grosse, Julius: Selfmademen, [2]: Genrebilder aus dem Künstlerleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0345

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Selfmademen

Ausländer zu kopieren. Bekanntlich gingen diese Nach-
bildungen der Battoni, Rubens, van der Neer, Ribera
nnd Caravaggio massenhaft nach Amerika und wurden
mit unverhältnismäßig hohen Preisen bezahlt, bis ur-
plötzlich die Dankees entdeckten oder sich von Konkurrenten
einredeu ließen, daß man ihnen unter tönenden Namen
lauter Schund aufhing. Damit war die lohnende In-
dustrie mit eiuem Schlage lahm gelegt, und bevor sich
für diesen verlorenen Markt ein anderer fand, brach die
bittere Not herein.

„Viele der fleißigen Kopisten sahen sich gezwungen,
überhaupt einen anderen Beruf zu ergreifen. Auch Michael
Walster fand vorläufig keinen anderen Ausweg, als in sein
Heimatsdorf zurückznpilgern, um dort bessere Zeiten zu
erwarten.

„Auf der Fußreise dahin war es, als Entbehrungen
und Kälte seine letzten Kräfte erschöpft hatten. In diesem
Zustand hoffnungslosesten Elends führte ein gütiges Ge-
schick den Schlitten mit den Kindern des reichen Nabob
vorüber, und der Verlorene war gerettet. — Wie er
dann am Feuer auftaute und erzählen mußte — die
ganze Melodie seines Jammers — na, es muß gewesen
sein, wie mit Münchhausens Postillon. Zum erstenmal
vielleicht klangen jetzt alle eingefrorenen Töne verfehlter
Hoffnungen, und sein Äußeres gab die sprechende Illustration
dazu. Sie hätten den Maler Walster kennen sollen, wie
er damals aussah, eine von den halbverhungerten
schmachtenden Nazarenerfiguren, wie sie immer noch an
der Elbe gedeihen. Ludwig Richter hat dieser Art in
seiner köstlichen Selbstbiographie mit sentimentalem Humor
ein Denkmal gesetzt.

„Abgehärtete Dulder, körperlose Schatten und doch
immer verzückt im siebenten Himmel der Begeisterung, in
Ermangelung von Heuschrecken, von Häringen lebend und
von Johannisbrod und Obst — auf dem Leibe kaum
ein abgetragener Konfirmationsfrack oder urgroßväterlicher
Rock in der zehnten Generation — solch eine Figur war
auch Michael Walster. Die Tragendorf'schen Damen
meinten erst, sie hätten einen Herrenhuter gefunden oder
einen Savoyarden, dem sein Murmeltier abhanden ge-
kommen. Um so größer das Staunen, als der Aufgetaute
sich als Dresdener Künstler entpuppte. Da hatten die
mildthätigen Seelen einen Hauptfang gethan.

„Nun war große Freude im Schloß. Herr von Tragen-
dorff, der aus eigener herber Lebensschule wußte, wie
schwer es ist, aufzukommen, beschloß etwas Besonderes
für seinen Schützling zu thun. Er setzte ihni sofort eine
bedeutende Jahrespension aus, equipierte ihn auch von
Kopf zu Füßen neu — kurz, das sinnige Spiel vom
armen Studentenauskleiden wurde in Wirklichkeit über-
tragen. Michael Walster zog nach einer Woche Aufent-
halt als neuer Mensch nach Dresden zurück. Auch für
lohnende Aufträge war gesorgt, so daß eine glänzende
sorgenfreie Zukunft vor ihm lag. -—

„Aber was that nun der Patron. Glauben Sie, daß
er sein Leben änderte. Nicht im mindesten. Die Pension
von fünfhundert Thalern legte er sofort auf die hohe
Kante, das heißt, er trug das Geld zum Bankier, um es
zu kapitalisieren. Die neuen Kleider verkaufte er und
kroch wieder in den uralten Trödelkram. Im übrigen
darbte und hungerte er mit Begeisterung, aber fleißig
war er. Binnen einem Jahr kopierte er Rembrandt und
Ruysdael, auch ein paar berühmte Poussins, die er seinem

Mäcen zum Weihnachtspräsent schickte. Herr von Tragen-
dorff erwiderte diese Aufmerksamkeit mit einer Summe,
die vielleicht dereinst für die Originale gezahlt worden
war. Auch das Kapital wandertc sofort zum Bankier.

„Damals zuerst sah ich den wunderlichen Heiligen
wieder — auf einer Fahrt nach München, aber er wich
mir unterwegs mit seltsamer Scheu aus — wie ich nach-
her entdeckte, weil er vierter Klasse im Viehwagen fuhr.
In München wäre ich gern länger mit ihm beisammen
geblieben, um Näheres über sein wunderbares Glück zu
erfahren, aber er war nicht einmal dazu zu bringen, mit
mir zu Mittag zu essen oder in eine Restauration cin-
zutreten. Mit einer Hand voll Obst begnügte er sich,
und ich glaube, nachts hat er im englischen Garten oder
sonstwo in den öffentlichen Anlagen geschlafen, und das
alles mit einem Wechsel auf Tausende in der Tasche.
Auf solche Art, meine Herren, kommt man zu etwas.

„Es war ausgemacht worden, daß er sich alljährlich
am Neujahrsmorgen bei seinem Mäcen und Gönner
präsentieren solle — denn diesem lag daran, seinen
Schützling im Auge zu behalten.

„So kam er denn das nächstemal wieder mit seinem
köstlichen Tizian^ aber sonst, wie zuvor, in Lumpen. Die
Damen vom Hause erkannten ihn nicht wieder, sondern
liefen vor ihm davon, wie vor einem Landstreicher. Dies-
mal nahm ihn Herr von Tragendorff ernstlich vor und
setzte ihn über seine sittenwidrige Lebensweise zur Rede.

„Aber niein Gott — erwidert er — es ist alles so
teuer heutzutage, in so schlechten Zeiten muß man sparen,
ich kann ja nicht wissen, in welche traurige Lage ich noch
kommen kann. —

„Hast Recht, mein Sohn, sagt der reiche Mäcen, der
an dieser Bedürfnislosigkeit und Sparsamkeit doch seine
heimliche Freude hatte, aber für die Zukunft brauchst du
dir keine Sorgen zu machen, dafür werden wir auch noch
aufkommen.

„Und abermals ließ er ihn auf das reichlichste aus-
statten, mit feiner Wäsche, einer dreifachen Garderobe
und einem kostbaren Pelz. Um ganz sicher zu gehen,
mietete er ihm eine anständige Wohnung in Dresden und
belegte ihm einen festen Platz an der Table d'hote ini
goldenen Engel. Sein Jahrgeld wurde von dem groß-
herzigen Mann nicht nur verdoppelt, auch für eine längere
Reise nach Italien wurde eine ziemlich hohe Summe
ausgesetzt.

„Und was that der Unbegreifliche abermals. Es
schien ihm geradezu Sünde und Verbrechen, sich der
Gegenwart und des Lebens zu freuen. Sofort schaffte
er die ganze Ausstattung wieder bei Seite. Die Garde-
robe wurde verkauft, die Wohnung vermietete er selbst
an einen reichen Russen und bezog wieder seine Schlaf-
stelle in einem Dachkämmerchen. Nur das Kouvert im
Engel benutzte er und zwar so reichlich, daß er mit dem
einmaligen Mittagtisch seine ganzen Tagesbedürfnisse
deckte.

„Kam einmal Herr von Tragendorff selbst nach
Dresden, um persönlich nachzusehen, so war mein Michael
Walster nirgends zu finden. Er verkroch und versteckte
sich, wie ein gejagter Fuchs. Bei solchen Eigentümlich-
keiten wurde der sonderbare Künstler für die Tragen-
dorff'sche Familie fast zu einer mythischen Figur, von
der jahraus jahrein gesprochen wurde, ohne daß man ihn
zu Gesicht bekam,
 
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