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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Grosse, Julius: Selfmademen, [2]: Genrebilder aus dem Künstlerleben
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Genrebilder aus dem Aimstlerleben. von Julius Grosse

27,

„Auch sonst wurde sein Name immer häufiger ge-
nannt. Seine Arbeitskraft ging in das Unglaubliche.
Fast jede größere Ausstellung bot eine Reihe von seinen
Werken, nicht bloß Copien berühmter Werke — auch eigene
Schöpfungen, Landschaften und Genreszenen, die durch
ihre nüchterne Wahrheit Aufsehen machten.

„Von solchem Genie erwartete man eine neue Ära
der Kunst, und die Kritik wurde nicht müde, in ihrer
Bewunderung den neuen Meister zu vergöttern, obschon
ihn sonst Niemand kannte.

„So ging es etwa sechs bis sieben Jahre, und der
Ruhm Michael Walsters war festbegründet. Auf einmal
hatte die Hochflut ein Ende.

Nirgends mehr sah man
ein neues Werk von ihm
und etwaige Nachfragen
begegneten verlegenem Kopf-
schütteln und Achselzucken.

Auch bei Herrn von Tragen-
dorff blieben die üblichen
Neujahrsbildcr, die bisher
^ regelmäßig cingetroffen
waren, allmälig aus und
die Briefe des Mäcens
kamen als Unbestellbarzurück.

„Da machte sich denn
der alte Herr gelegentlich
selbst auf, um den Ver-
schollenen in Dresden auf-
zusuchen. Auch die älteste
Tochter begleitete ihn, die-
selbe, die nunmehr vor
zehn Jahren das verkommene
Genie, so zu sagen, im
Schnee entdeckt und gerettet
hatte.

„Aber die Reise zeigte
sich als gänzlich vergeblich.

In Dresden selbst war der
Meister nicht aufzufinden.

Weder auf der Polizei, noch
bei seinem früheren Haus-
wirt kannte mau seine jetzige
Adresse.

„Endlich fand man Auskunft und zwar bei dem ältesten
Diener des Kunstvereines. Diese Kunde lautete ebenso
wunderbar und märchenhaft, wie Alles bisherige.

„Darnach war Michael Walster schon vor Jahres-
frist in eine kleine Provinzialstadt seiner Heimat ge-
zogen, wo er Grundstücke und Gärten und Häuser an-
gekauft habe.

„Diese Nachricht freute Herrn von Tragendorff aber-
mals, denn er sah doch, daß aus dem Künstler auch sonst
ein tüchtiger wirtschaftlicher Mann geworden sein müsse.
Das Nächstemal, das heißt abermals ein Jahr später,
dehnte er seine Reise bis zu dieser Provinzialstadt aus
und nahm auch diesmal seine Tochter mit, natürlich auf
deren dringende Bitten. Memals ist eine größere Ent-
täuschung erlebt worden.

„Wen trafen sie nach langem mühsamen Suchen —
einen vierschrötigen Menschen im abgetragenen Schafpelz,

Erwacht, von Leo Lerch

einen fremden Mann, der keine rechte Zeit für seinen
Wohlthäter hatte, weil er eben damit beschäftigt war,
einen armen Teufel zu exmittiren, der seine Miete hatte
nicht bezahlen können.

„Mit einem Wort, Herr Michael Walster war Grund-
besitzer und Hauseigentümer geworden, hatte als Beigabe
auch eine entfernte, viel ältere Verwandte geheiratet, die
zu seinen aufgesammelten Ersparnissen ebenfalls einige
Thaler beibrachte.

„Und die Kunst — wozu brauchte er jetzt die Kunst
noch, die war ihm nur eine Leiter zum Ziel, nimmermehr
eigentlicher Lebenszweck gewesen.

„Da ist dem Herrn
von Tragendorff freilich ein
Helles Licht aufgegangen.
Die Wärme seiner Humani-
tät sank diesmal bis auf
den Nullpunkt herab, und
schleunigst kehrte er in seine
Heimat zurück. Auch seine
Tochter — die längst einen
benachbarten Grundbesitzer
hätte heiraten sollen, wenn
sie nicht immer von einem
Traum eines unerreichbaren
Jugendideals befangen ge-
wesen, dem sie eine rührende
Treue bewahrte — war
jetzt gründlich kuriert. Das
ideale Geschöpf ihrer Phan-
tasie und Sehnsucht hatte
mit diesem höchst modernen
Menschen Michael Walster
plötzlich seine Erledigung
gefunden. Ohne weiteren
Widerstand heiratete sie, den
Wünschen ihrer Eltern ge-
mäß, in einigen Monaten den
benachbarten Gutsbesitzer.

„ Herr v on Tragend orff
aber hat nie wieder sich
veranlaßt gesehen, ein ver-
kanntes Talent vom Unter-
gang zu erretten.

„Diese veränderte Stimmung brauchte den reichen
Michael Walster freilich nicht zu kümmern. Er folgte der
Weisheit: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Heut soll
er bereits Stadtrath sein, ganze Straßen besitzen und
selbstverständlich zu den angesehensten Häuptern zählen
— nur bei den Armen ist er gefürchtet und ebenso bei
den Künstlern. Daß er einst ihresgleichen war, ist längst
von ihm vergessen, ja nichts ist ihm verhaßter, als ge-
legentlich daran erinnert zu werden.

„Sie haben Recht: der Character ist das Entscheidende,
selten oder nie die Begabung allein. Und so kann es
kommen, daß wenn man Talente protegiert, aus einem
jungen Entlein ein Schwan erwächst, wie es im Märchen
heißt — aber umgekehrt kann es auch kommen, daß
Einer wähnt ein Adlerei gefunden zu haben, und unver-
mutet wächst sich die Brut zu einem Raben aus oder
einem kollernden Truthahn —"
 
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