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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [2]: ziellose Reiseberichte eines Malers; im Zeichen der Triere
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0404

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Zis

Wo die Sonne scheint

Ziellose Reisebriefe eines Malers. Von R. von Seydlitz

II.*)

Zm Zeichen der Triers

^l^üre das Leben hienieden so ein himmelblauer See
mit Goldflimmern drin und rosa Schwänen znm
Drausspazierenfahren, wie der Mensch in frühester Jugend-
zeit sich's wohl träumen läßt, — so ein kortus ckeli-
ciarum ohne Zäune und Dornen und Warnungstafeln,
so müßte es nach der Form zugeschnitten sein, in welcher
Korfu an einem schönen Tage sich darstellt, wenn die
verblüffendsten Farbeneffekte in der durch tausend Sommer-
sonnen destillierten hiesigen Luft erblühen, von deren
überirdischer azurner Klarheit Gregorovius mit Recht
sagt, ein in solchen Dingen einigermaßen geübtes Auge
vermöge wohl darin die feinen Umrisse der Göttergestalten
des Olymp zu erkennen.

Eine haarscharf deutliche Ferne, wie ans den Fjord-
landschaften Normanns, oder wie sie Wohl an besonders
glücklichen Herbsttagen dem Wandrer auf höchsten Alpen-
höhen sich zeigt, begrenzt ringsum das Bild: weithin
strecken sich die Schneegipfel Albaniens über blaugrünen
öden Felsen hin, ihr Scheinbild im lichtfunkelndcn Meere
ist von feinen himmelblauen Streifen durchschnitten; hie
und da leuchtet ein blendendes Segel im weiten Ozean,
und vorn, zu Füßen, liebkost die leise plätschernde Welle
den bräunlichen Felsen des Ufers, das ohne Strand und
Sand sogleich in üppigem Pflanzenwuchs sich versteckt.
Tenn, daß ich's gleich verrate, die fröhlichste Überraschung
für den Nordländer: Korfu hat Gras, keine dürren
Halden stechen gegen den Baumwuchs ab — ein an-
genehmes grünes Wesen herrscht auf dem Boden wie in
den Zweigen. Süditalien könnte Korfu darum beneiden.

Mitten zwischen solchen prächtigen Festtagen der
Natur gibt's dann noch eine besondre Art von Götter-
tagen, ein überschönes Wetter; aber das ist so selten wie
unbeschreiblich. Vielleicht ist's auch nur Einbildung,
glückliche Stimmung oder Gott weiß was; mir aber kam
es vor, als wolle Vater Zeus mir einmal «seines
Himmels mitgenießendes fröhliches Anschau'n eine Weile
gönnen und lassen", — wie Iphigenie sagt; und ste, als
Griechin, muß es doch wissen.

Wie zu Zeiten weiland Sr. Majestät Alkinoos, des
homerischen Beherrschers von Scheria, sind auch heute
noch die Korfiotcn fleißige und glückliche Segler ans der
blauen Adria, und ihr Wappen, die Triere, krönt Markt-
und Staatsgebäude. Lauter seefahrende Mächte haben
über Korfu geherrscht: Griechen und Römer, Sarazenen,
Venezianer und Britten. Sie alle haben eine Schicht
Kultur ihrerseits aufgehäuft, und die antiken Unterbauten
tragen mittelalterliche Festungswälle mit dem Bilde des
Löwen von St. Marco, neben einem Denkmal eines eng-
lischen Lord-Protektors und der Statue des Freiheitshelden
Capodistrias. Welche beredte Zeugen unendlicher Umwäl-
zungen, welch stumme Siegel auf längst überwachsene und
halbvergessene Schlachtfelder alter und neuer Zeit! Von den
beiden Seeschlachten an der Südspitze der Insel, die den
peloponnesischen Krieg und damit die Selbstzerstörung des
antiken Hellas begannen, bis zu dem Tage, da die ab-

*) I. s. Heft 13 S. 204.

Di- Kunst str Alle NI

ziehenden Engländer dem neuerstandenen Hellas die Insel
überlieferten, nachdem sie aus Vorsicht die Befestigungen
gesprengt hatten, um nicht in Versuchung zu geraten, sie
später wieder etnzunehmen, ist um die Perle der Sieben
Inseln schwer und viel gerungen worden. Und was
haben die Enkel der Phäaken aus all dem gerettet?
Nichts als das Bewußtsein, klassischen Boden zu be-
wohnen.

Ja, klassischer Boden ist es, den wir betreten, und
möge der Wanderer ihn mit derjenigen klassischen Ruhe
durchstreifen, die den alten Homer, den Meister der Objek-
tivität, uns so lieb macht.

Jedoch fürchte der Leser nichts im folgenden, was
ihn an Altarblätter, Cavalcasele, Museen und ionische
Kapitäle erinnern könnte; das einzige der letzteren ist das
hübsche Kapitälchen der Jonischen Bank — um doch gleich
anznzeigen, wie ich über unangebrachte Kunstsimpelei denke.

Im übrigen: keine Architektur, kein Meeresstrand,
keine Fremdenindustrie und keine — Frauen!

Könnte man sich ein Venedig denken, das nur aus
dessen schmucklosesten und häßlichsten Häusern bestünde, und
versetzte man dies übelriechende Gassengewirr aufs trockene
Hügelland, so wäre es die Stadt Korfu. Nähme man
einer Stadt an der Riviera ihr so reizvolles Strandleben
und ließe die Wogen unvermittelt an die Mauern der
Häuser und Gärten rauschen, so gliche sie Korfu. Denke
man sich einen weltberühmten Winterkurort mit zwei be-
scheidenen Gasthöfen und zwei noch bescheideneren soge-
nannten Kaffeehäusern, so wird es immer mehr Korfu.
Versperrt man endlich alle Frauen, wenngleich sie keine
Orientalinnen sind, samt und sonders in ihre finstern
Häuser und läßt dafür die Männer in Schnabelschnhen
und gestickten Jacken, befranzten Shawls und Balletröcken
herumlaufen, daß sie aussehen wie beleidigte Medizin-
männer irgend eines unglaubwürdigen Jndianerstammes,
so —

Doch ich fürchte die gastfreien Korfioten beginnen
mich des Undanks zu zeihen und schreiben mir gar viel-
leicht die Vaterschaft jenes geflügelten Wortes zu, das
man sich an den Ufern der Adria über Korfu erzählt:
Hinter jedem Fremden sendet, so heißt es, die Stadtver-
waltung drei würdige Polizisten drein, die ihn überall-
hin begleiten: Den ersten, daß er ihn vor Räubern schützt,
— den zweiten, daß er ihn vom Selbstmord abhält, wenn
die Langeweile zu arg wird, — und den dritten, daß er
ihn auf höfliche und kommentmüßige Weise selber seines
überflüssigen Geldes entledigt.

Daß dies teuflische Verläumdnng ist, darf ich wohl
zu versichern mir ersparen. Ich bin in ödesten Gegenden
unbelästigt allein zwischen Felsen und Ruinen halbe Tage
lang herumgestiegen und habe weder von der Klephto-
manie eines Klephten noch vom Schutze eines Schutz-
mannes zu leiden gehabt. Es war dort so still, daß man
den Verfall am Gemäuer hätte nagen hören können, und
die Grillen es für unschicklich hielten zu zirpen. Es gibt
da tiefe.grüne Winkel zwischen den alten Burgwällen, mit
lautlosen Cypressen und verfallenen Gräbern, über die ich

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