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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [3]: ziellose Reisebriefe eines Malers; im Zeichen der Triere
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0427

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Ziellose Ueisebriefe eines lNalers. von R. non ?evdlitz

zzz

Marstrilagsaudachi in Paris, von Gottfried Hofer

Münchener )ubil.-Ausstellung

ge» Paläopolis, der Stadt des Alkinvvs, völlig ersichtlich
ist. Freilich wich seitdem der »immehr versandete Hafen
vvn den Mauertrümmcru mehrere hundert Fuß zurück
uud hat den Feldern und Wiesen Platz gemacht, aber die
ungefügen pelasgischcn Blöcke stehen zum Teil noch wie
sie der Baumeister hingewälzt.

Besonders ein viereckiger Mauerbau, dessen innerer
Raum niit dem Schutte der Jahrhunderte bis zum Rande
gefüllt war schon als die ersten Christen hier entzogen
(denn auf ihm steht eine kleine byzantinische Kapelle in
Ruinen, und wildes Gesträuch fährt in Garben durch die
zierlichen Fensterbogen heraus), erschien mir nicht un-
wert, dereinst des gastfreien Königs Wohnung oder Schatz-
haus gewesen zu sein. Ringsum ist der Mauerwall noch
geschützt durch undurchdringliche Hecken von Agaven, die,
von oben gesehen, ans Land gespülten Riesenpolypen mit
kraus verkrümmten Fangarmen gleichen. Auf ihnen flattert
die Wäsche der Landleute — auf Korfu flattert überall
Wäsche, die Stadtgassen hängen davon vom Dach bis zum
Boden voll —, und der Besitz der einzelnen Anwohner
ist durch Wälle von Cactus, unter denen Wasser fließt,
vom andern getrennt. In diesen grünen Festungen wächst
und gedeiht alles; aber viele Vierecke sind leer, ganze
Landstrecken liegen brach: dem Korfioten ist nicht immer
wohl im engen Kreise des Landlebens, ihn freut es, das
Segel zu spannen und den Fisch aus der Flut wie die
Frucht vom Festland zu holen. Dem schönen Bilde fehlt
darum auch die grasende Herde. Dafür schwärmen

Scharen von Strandwächtern am Ufer und durch die
Ebene, das Gewehr unterm Arm uud den Rosenkranz in
der Hand. Weithin über den diistern Höhen des Pan-
tokrator zieht ein Gewitter und schmückt sich und den
Berg mit einem leuchtenden Friedensbogen. Und hier
darf ich wohl zum Schluß noch einmal ein Wort der
Bewunderung dem unsterblichen Meister Rottmann widmen:
Man weiß kaum, indem man Griechenland durchfliegt, wer
den andern kopiert hat, Rottmann den Herrgott, oder
umgekehrt — so phänomenal ist die eindringliche Wahr-
heit, in Auffassung von Farbe und Linie, Ton und Licht
in den Werken des Meisters. — Jene spezifisch korfio-
tische stille Verlassenheit, die in der Weite der Landschaft
wie in dem ängstlich blickenden Auge der Laudleute, be-
sonders der Kinder, mir stets auffiel, webt auch heute.
Die gestrige Unruhe ist, wie jenes Gewitter, verflogen,
und so ist es auch die Vergangenheit des Landes. Kein
geschichtliches Band knüpft den heutigen Korfioten an die
Männer des alten Kerkyra, an deren Bautenresten sie ver-
ständnislos vorübergehen. Darum steht Italien so hoch
über Griechenland, weil in ihm die Tradition des Bauens
sich erhalten hat. Wenn ein Volk in Verwirrung und
Zweifel über die Art und das Maß seiner Existenz gerät,
muß es bauen: nur der architektonische Gedanke ist kalt
und positiv genug, dem Ansturm innerer Zweifel in der
Volksseele zu trotzen; dem Ansturm der Kritik von außen
trotzt auch das leichte Blatt eines Buchs.

(Ein dritter Artikel folgt)
 
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