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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pecht, Friedrich: Die Münchener Ausstellungen von 1888, [6]: die Malerei der übrigen Nationen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0438

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von Friedrich pecht

ZHZ

eine gesunde Frische, die selbst ihre gelegentliche Derbheit vergessen läßt. Die gebildete Pester Welt zeigt uns
dann Margitay in seiner Prvbe einer Konzert-Aufführung, die sich allerdings nicht sonderlich von den unsrigeu
unterscheidet, aber mit viel Feinheit wiedergegeben ist. Mit ungewöhnlicher Energie stattet Kardos endlich
das einzige biblische Bild dieser Ausstellung, einen „Hiob auf dem Aschenhaufen", aus, dem man packende
Wirkung und Eigenart nicht absprechen kann.

Wenig bedeutend ist diesmal die Landschaft vertreten, die freilich auf der ungeheuren ungarischen Ebene
nur dürftigen Stoff bietet und daher nur einmal bei Brucks Darstellung des Donau-Quais in Pest, eine
talentvolle, an Canaletto erinnernde Vertretung gefunden hat. Unstreitig ist es ein Nachteil für die ungari-
schen Künstler, daß ihrer so viele zerstreut in München, Paris, London leben müssen. Um so bewunderungs-
werter ist es aber, daß sie dennoch solch gemeinsamen Charakter herausgebildet haben, während so viele andre
sich wie Teig in jede beliebige Form pressen lassen.

III. England

Mit der kaum zwei Zimmer füllenden und in der Hauptsache ans Bildnissen bestehenden englischen
Ausstellung kommen wir nichtsdestoweniger zu einer der interessantesten Partien der unsrigen. Allerdings zu
einem nicht geringen Teil durch das glänzende Talent eines, wie Haag, Böhm, Graf Gleichen n. a., engli-
sierten Deutschen: Herkomers, dem sie ihre zwei besten Bilder verdankt, die berühmte „Dame in Weiß", die
unsre Leser schon kennen, und die ihr gefolgte „Dame in Schwarz". Indes wenn solche Benennung für manche
Frauen sehr passend sein mag, bei denen die Toilette die Hauptrolle spielt und der Kopf nur Nebensache ist,
so gilt das für niemand weniger, als für diese Herkomerschen Schönen, die ihre Bedeutung ganz durch die
meisterhafte Seelenmalerei erhalten. In dieser Miß Grant, die so schön und noch reiner aussieht als ihr
weißes Kleid, steckt nichtsdestoweniger das Zeug zu einer Judith, und die Widerspenstige vor der Zähmung
scheint sie noch jetzt zu spielen. Der aber kann sich glücklich schätzen, der dies stolze, schöne Mädchen gewinnt,
nur muß er sich darauf gefaßt machen, daß sie ihm den Hals abschneidet, wenn er ihr etwa untreu würde.
Das muß nun unbedingt zugegeben werden, daß wir in unsrer ganzen deutschen Ausstellung kein Bild haben,
was so tief in der Charakterschilderung ginge, als dies Meisterwerk. Ist es international schon darum, weil
die Dargestellte Amerikanerin, der Maler ein Deutscher ist, so kann man das um so weniger von der „Dame in
Schwarz" sagen, die echt englisch aussieht, und wo der verhaltene Wehmut atmende schöne Kopf dem Schwarz
des Kostüms durchaus entspricht. Wenn man sie aber über ihre glückliche Nebenbuhlerin hat setzen wollen, so
kann man dem nicht beistimmen, wie schön das Bild auch für sich sei, selbst durch die anmutige Ungezwungen-
heit der Haltung, vor allem aber durch den Ausdruck, von dem ganz der Heinesche Vers gilt:

„Um ihre Lippen zog sich ein Lächeln wunderbar,

Und wie von Wehmutsthrttnen erglänzt ihr Augenpaar."

Wie dieses Bild, macht auch der englische Salon einen düstern, aber vornehmen Eindruck. Ja es ist
überhaupt merkwürdig, wie der Charakter einer jeden Nation sich so deutlich im Aussehen ihrer Säle aus-
spricht; der männlich ernste der Engländer, wie der sinnlich heitere der Österreicher, der ein wenig barbarisch
mannhafte der Ungarn, die unruhige Rastlosigkeit der Jankees, wie die Vorliebe für das Bnnie und Schreiende,
aber auch die Grazie im italienischen, das unerschütterlich behagliche Phlegma im holländischen, wie die blut-
dürstige Mischung von Rot und Schwarz im finster-feierlichen spanischen u. s. f. Und da salbadert man von
Kosmopolitismus in der Kunst! Wohl weil unsre Säle allerdings, dank unsrer ewigen Nachahmungssucht,
trotz der Fülle einzelner Talente, als Ganzes charakterloser aussehen als alle andern?

Leonardo, der doch auch ein passabler Künstler war, ja den großen Stil in der Malerei erst er-
funden hat, meint freilich: „Ich sage zu den Malern, daß nie einer die Manier des andern nachahmen
soll, denn er würde dann nicht ein Sohn, sondern ein Enkel der Natur genannt werden." — .... „Weil
die natürlichen Dinge in so großer Fülle vorhanden sind, so soll man sich viel eher an sie wenden, als zu
den Meistern seine Zuflucht nehmen, die gleichfalls nur von ihr gelernt haben.". . . . „Alle, die zur Richtschnur
andres nehmen als die Natur, bemühen sich umsonst." ... — Es ist nur schade, daß der große Meister die
Ulsin-air- und Grau-Malerei oder den modernen „Impressionismus" nicht gekannt hat, bei welchen man ein
bloßes Mittel zum Zweck macht.

Wenn nun der englische Saal die großartige Charakter-Unabhängigkeit der Nation selber so auffallend
widerspigelt, ja einen merkwürdigen Fortschritt der englischen Kunst bezeugt, so dankt sie das lediglich dem
Umstand, daß sie fast gar nicht nachahmt und deßhalb wohl oft barock, aber immer eigenartig und nie
charakterlos aussieht. Von dieser Regel macht fast nur der Direktor der englischen Akademie, Sir Leighton,
als entschiedener Klassizist eine Ausnahme, und sein Damenbildnis läßt denn auch allein die etwas süßliche
Nachahmung der Venezianer und den Gebrauch von Poudre de riz und Schminke sehen. Ganz vortrefflich
sind dagegen Frank Holls Bildnisse des Prinzen von Wales mit dem ausgesprochenen Bonvivant-Aus-
sehen, des Lords Stalbridge und Herrn Tenuiels, beides höchst meisterhafte Bilder, deren kühne Energie
 
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