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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Proelß, Johannes: Modelle, [6.3]: Novellenkranz ; Sancta Magdalena
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166

Modelle
Novellenkranz, von Johannes proelß
VI. Zancta Magdalena
(Fortsetzung aus dem vorigen Hefte)

er Erzähler machte eine Pause. Alle schienen von
den Enthüllungen aus der Jugendzeit des bekannten
Malers ergriffen. In den Mienen der Nachbarin Oswalts
spielte von neuem der Trieb, etwas zu fragen, doch
unterdrückte Fräulein Cäcilie denselben, als fühle sie
selbst, daß die Frage verfrüht sein würde. Dagegen
brach der allzeit kritisch aufgelegte Schriftsteller, Or. Wein-
hold, in seiner entschiedenen Weise das Schweigen.
Dieser Zusammenhang, sagte er, der tiefsten Jugendein-
drücke Munks mit seiner Kunstrichtung erklärt allerdings
manches Rätsel, das seine Künftlerlaufbahn uns aufge-
geben. Und die thun ihm Unrecht, welche ihn für einen
bloßen Nachahmer Tizians erklären. In ihm ist die
Begeisterung für die Renaissance zum Persönlichen Erleb-
nis geworden. Aber wie erklären Sie nach alledem seine
spätere Hinneigung zum Spiritismus, die vor ein paar
Jahren so viel von sich reden gemacht hat? Sie erscheint
niir nach dem, was Sie bisher erzählt, erst recht un-
vereinbar mit dem tiefgründigen Anempfindungstrieb, der
ihn von Jugend auf für die geistesfreie, sinnenfrische,
im sichtbar Schönen schwelgende Kunst jenen großen
Maler erfüllte. Begeisterung für Tizians Schönheits-
göttinnen, die bis auf ihre Schönheit alles Überirdischen
entkleidet sind, und seine traumverlorenen Somnambulen,
deren verschleierte Blicke ins nebelhafte Reich der vierten
Dimension hinüberirren — wie reimen sich diese Gegen-
sätze zusammen?
Auch dafür, hob nun Oswalt aufs neue an, gibt
mir jene Beichte ein Mittel der Erklärung. Und das
paradoxe Wort eines geistreichen Kritikers über Munk
deutet die inneren Beziehungen beider Gegensätze trefflich
an. In einem Aufsatz desselben über unfern Meister
hieß es einmal: Munk sei kein bloßer nachahmender
Epigone, sondern ein Romantiker der Renaissance.
Wie die Maler und Dichter der romantischen Schule die
Poesie des Rittertums und die Glaubensinnigkeit des
Mittelalters bis zur Schwärmerei entzückte, so daß sie
den Reiz dieser vergangenen Zustände sich zurückerschnten
ins eigene Leben und über Gesichten und Träumen,
welche ihrer Phantasie das Mittelalter zuströmte, die
Gegenwart und deren Schönheit verachteten, so lebe
und schwebe Munks Geist in Träumen und Gesichten,
welche in seiner Phantasie gleichfalls die Sehnsucht nach
Vergangenem erschaffe, die Sehnsucht nach der Welt,
aus der Tizians Bilder entstanden sind. Und dieser
romantische Zug in Munks Begeisterung, der vom Walten
der Phantasie abhängt und den Eindrücken der Wirklich-
lichkeit spottet, der ist es auch, was seine Kunst immer
niehr dem gesunden Wesen des Lebens entfremdet und
schließlich gar zum Organ spiritistischer Ideen gemacht
hat. Und gerade diese Kritik hat mitgewirkt, ihn auf
die abschüssige Bahn zu bringen. Doch, ich kehre zurück
zu jenem interessanten Zusammensein mit dem Meister
vor acht Jahren in Florenz.
Seit den poesieerfüllten Nachtstunden, da Robert Munk
mir auf der rosenumblühten Loggia über dem viate äe'

colli einen so tiefen Einblick in sein Inneres gewährt
hatte, bin ich ihm nie wieder so nahe getreten. Eine
gewisse Befangenheit, eine Art Schamgefühl darüber, die
Geheimnisse seiner Seele in jener Stunde einem jüngeren
Manne preisgegeben zu haben, drängte sich zwischen ihn
und mich. Ich blieb damals noch einige Tage in Flo-
renz und konnte mich während derselben noch manches
Beweises seines freundschaftlichen Anteils erfreuen. Aber
auf die Geschichte von seiner ersten Leidenschaft für ein
Mädchen, dessen Vorvergangenheit sich sprengend zwischen
das gemeinsame Glück geschoben und für dessen ihm plötz-
lich offenbartes Magdalenentum er damals kein Vergeben
hatte finden können, kam er nicht mehr zurück, auch nicht
vor der Magdalena Tizians. Mit Bewunderung be-
trachtete ich die Anfänge seiner Kopie, aber während er
neben mir stand, sprach er kein Wort mehr über die
innere Bedeutung des Bildes für ihn, sondern nur noch
von dessen künstlerischen Eigenschaften, schwieg er von den
Geheimnissen seines Herzens und erging sich desto eifriger
über die Geheimnisse der Technik, die in dem Original
so bezaubernde Wirkung ausübte.
Erst als ich auf meiner Rückreise von Süditalien
wieder in die Arnostadt kam, spielte er einmal leise auf
jene Bekenntnisse an. Er war fertig mit seiner Kopie.
Welcher Kopie! So ist wohl nieinals auch nur annähernd
die Tiziansche Magdalena in einem Abbild zu zweitem
Leben erstanden. Käufer umdrängten ihn. Ein reicher
Amerikaner bot ihm schließlich einen Preis, der weit den
höchsten Betrag überstieg, den er je für eins seiner besten
Originalgemälde gefordert. In seiner ernsten bescheidenen
Art erzählte er mir davon, während ich bewundernd vor
seiner Arbeit stand. „Ich habe sie alle abgewiesen," sagte
er, still vor sich hinlächelnd und mit einem Blick voll
tiefer Innigkeit auf das Bild. „Tie Magdalena bleibt
mein. Ich nehme sie mit mir nach Haus. Ihre Schön-
heit soll mir die nüchterne Welt meiner Werkstatt durch-
leuchten." Wie neugeboren, erfrischt und arbeitsfreudig,
kehrte er mit dem Gewinn seiner Reise dann heim nach
Wien. Er ahnte nicht, welchem Dämon er mit dem Bilde
in seiner stillen Klause draußen in Döbling Einlaß ge-
währte und wie bald dieser das Glück solch arbeitsfreudiger
Stimmung Verkehren werde in sein Gegenteil . . .
Es dauerte auffällig lange, bis er in dem folgenden
Jahre ein neues Bild zur Ausstellung brachte. Bei meinem
Verkehr in seinem Hause — ich war des Sonntags öfter
sein Gast am Familientische — konnte ich beobachten,
unter wie schweren inneren Kämpfen das Bild entstand.
Dazu kam die Verständnislosigkeit seiner sonst so braven
Frau, welche die Kunst ihres Mannes vornehmlich als
eine gute auskömmliche Einnahmequelle auffaßte und ab-
schätzte, auf deren womöglich wachsende Ausgiebigkeit
sie mit dem Interesse einer sorglichen Hausfrau und
Mutter rechnete. Sie machte ihm schließlich auch in
meiner Gegenwart Vorwürfe über sein Zögern: das Bild
sei ja längst fertig. Er solle es endlich ausstellen und
verkaufen. Was ihn so schwer zum Abschluß kommen
 
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