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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Proelß, Johannes: Modelle, [6.3]: Novellenkranz ; Sancta Magdalena
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0226

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Modelle. Novellenkranz, von Johannes proelß

isy


ließ, war aber der beständige Vergleich mit dem Bilde
Tizians, dessen so hochvollendete Kopie den Ehrenplatz in
seinem Atelier erhalten hatte, war der Wettkampf, zu dem
er sich durch dasselbe herausgefordert fühlte. Endlich
sagte er mir eines Sonntags: jetzt hielte auch er sein
Bild für fertig. Nach Tisch wolle er es mir Helgen.
Er habe es ganz im Geheimen
ausgeführt und über seine Idee
strenges Stillschweigen beob-
achtet. Es eröffne einen neuen
Abschnitt in seiner Laufbahn.
Niemand habe ihn bei dieser
Arbeit stören dürfen. Die
„Magdalena" sei dabei seine
Muse gewesen. — „O eine
strenge Muse. Daher mein
Zaudern!" — sagte er vor
sich hin. Dann aber fuhr er
lebhaft fort, mir die Idee
des Bildes entwickelnd. „Wissen
Sie, wie ich es nenne? „Die
Renaissance!" Gelt? Die
hat noch keiner gemalt? Und
ist doch auch eine herrliche
Göttin wie die andern, die
sich darstellen lassen in Fleisch
und Blut! Die Wiedergeburt
des antiken, vorurteilsfreien,
sinnenfreudigcn Kunstgeistes,
wie sie in Tizians Bildern
uns entgegentritt, verkörpert
in einem schönen Weibe, das
habe ich darstellen wollen. Die
Kunst des Mittelalters, die
aus weltfremden, das Über-
irdische suchenden Träumen er-
wacht und ihre Augen vom
undurchdringlichen Himmel ab,
freudigen Staunens voll, der
Erdenschönheit zuwendet. Ihre
eben noch ernst und asketisch
gestimmten Züge erhellt ein
heiteres Lächeln, beseelt von
liebevoller Duldung, die sich
auch der Schönheit zu er-
freuen vermag, welche mensch-
liche Schwäche verklärt. Das
ist der Vorwurf meines Bil-
des! Kühn — nicht wahr?
Natürlich deutet mein Bild nur
an, was meine Phantasie in
strahlender Glorie gesehen.
Aber das wird man zugeben
müssen: gut gemalt ists; nicht umsonst bin ich alter Knabe
noch einmal als Kopist in die Schule Tizians gegangen."
Gespannt folgte ich dann dem Meister und als ich vor das
Bild trat, stutzte ich in der That, geblendet von dem hohen
Farbenreiz des leuchtenden Inkarnats seiner „Renaissance".
Er hatte Recht, sich seines Kolorits zu rühmen. Über
dem Kopiren der Sancta Magdalena war er so tief in
das Wesen der Tizianschen Farbentechnik eingedrungen,
daß die Nachwirkung sich in keinem Pinselstriche ver-
lengnete.
Die Aunst für Alle V

Und noch etwas andres frappierte mich, das mich
aber zugleich auch mit einer eigentümlichen Bangigkeit
erfüllte. Nicht nur das Kolorit reizte zum Vergleich mit
dem Tizianschen Bild an der Wand; auch das Gesicht
von Munks Renaissance hatte Ähnlichkeit mit der heiligen
Magdalena. In der Modellierung; mehr noch im^Aus-

druck. Verhängnisvolle Nachbarschaft! Er selbst schien
keine Ahnung von dieser Wirkung zu haben. Und ich
wollte ihm die Stunde nicht trüben. So schwieg ich.
Aber von andren bekam er es zu hören. In allen Ton-
arten rügte es die Kritik: einen virtuosen Nachahmer
Tizians nannten ihn Lober und Tadler. Er gab es
nicht zu. „Ist die Idee zu meinem Bilde nicht aus niir
heraus entstanden? Habe ich nicht selbst die befreiende
Wirkung solch künstlerischer Wiedergeburt erlebt; nur daß
mir die Renaissance ist, was dieser selbst die Antike


Herbst! von N). Bernatzik
 
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