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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Proelß, Johannes: Modelle, [6.3]: Novellenkranz ; Sancta Magdalena
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Modelle. Novcllenkranz. Von Johannes proelß

war? Und was die Ähnlichkeit des Ausdrucks betrifft,
gut — es sei zugestanden, dort das Bild an der Wand,
das für mich lebt und atmet, ist mir Modell gewesen,
hat mir die Dienste geleistet, die andern ein gewöhnliches
Mietsmodell bietet. Ist das ein Unglück? Eine Schwäche?
Habe ich nicht dem Antlitz einen neuen Ausdruck voll
charakteristischem Wesen ausgeprägt? Die Bilder sind sich
in der Idee verwandt, darum auch ähnlich, nicht mehr!" —
Als aber auch bei seinen folgenden Bildern derselbe
Vorwurf laut wurde und wohlmeinende Freunde ihm
immer dringender rieten, das gefährliche Magdalenenbild
aus seinem Atelier zu entfernen, weil sein ganzes künst-
lerisches Fühlen und Denken in immer größere Abhängig-
keit von ihm gerate, da entschloß er sich eines Tages
nach schwerem Kampfe, diesem Rate Gehör zu schenken.
„Und ich weiß einen Ort," sagte er mir am Abend jenes
Tages beim Nachhausegehen aus einer Sitzung des
Künstlervcreins, in welcher ihm stark zugesetzt worden
war, „ich weiß einen Ort, wo das Bild noch geziemender
hingehört als in mein Atelier: die Galerie meines Wohl-
thäters. Der alte Herr selbst ist zwar tot, aber seine
Wittwe hält die Hinterlassenschaft in Ehren, die einst in
Schloß Reichcnstein meiner geringen Kunst Schule war.
Damals bestellte mir der Graf diese Kopie samt der der
„Flora" in den Uffizien. Sie wissen, daß der Tod meiner
Eltern mich zwang, schon nach Beendigung des ersten
Bildes diesen frühesten Aufenthalt in Florenz abzubrechen.
Jetzt will ich dem Toten die mir von ihm freilich er-
lassene Schuld abtragen. Ich hätte es längst thun sollen."
In einer Stimmung eigentümlicher Ergriffenheit kam
er aus Schlesien zurück. Ich traf ihn kurze Zeit darauf
und damals fühlte er sich zum erstenmale gedrängt, wieder
an jene Geständnisse anzuknüpfen, deren Mittelpunkt das
Liebesabenteuer war mit dem schönen Gesellschaftsfräulein
der Gräfin, das ihm im Turmzimmerchen des heimat-
lichen Schlosses für sein Dianen- und Endymionbild
Modell gewesen — das einzige wirkliche Modell, das ihn
je befriedigt; dem schönen goldlockigen Mädchen, das ihn
wachen Herzens wahrhaft geliebt hatte, während seine
Lippen aus dem Traume heraus den Namen eines
früheren Geliebten, eines treulosen Verführers, verraten
hatten. „Ich habe alle die Orte besucht," sagte er mir
mit einem weichen Klang in der Stimme, der mir ins
Herz griff. „Und ich bringe ein andres Bild von dort
mit. Den Stoff zu einem neuen Bilde, meine ich.
Das wird mich auch geistig aus den Bauden befreien,
mit denen mich das herrliche Weib auf Tizians Lein-
wand umstrickt hat. „Das Geheimnis" soll es heißen.
Ein schönes Mädchen von hohem Liebreiz liegt halb
zurückgelehnt auf seidene Kissen in tiefem Schlummer.
In seinem Antlitz, dessen frische Anmut ein Zug von
Schwermut düstert, erzählt der Ausdruck innerer Er-
regung und Spannung vom heimlichen Walten eines
leidenschaftlichen Traums. Und von den Lippen der
Schlummernden ringt sich ein Wort los, ein leises Wort,
das ein Geheimnis verrät. Ein Geheimnis, dem die
Wachende ihren Mund stets verschloß, den die Schlafende
nicht zu hüten vermag. Es muß schwer sein, diese Lippen
zu malen! Aber ich will es versuchen. Das sei mein
Magdalenenbild, das ich der Heiligen des großen Vene-
zianers entgegenstelle. Die Erinnerung an Eine, die
ich lebend kannte, soll mir den Pinsel führen. Gut,
daß ich die mächtige Rivalin mir aus dem Wege geschafft!"

Wohl! Aus dem Wege hatte er sie sich geschafft,
aber nicht aus Herz und Seele. Seine Phantasie stand
noch immer im Banne des Bildes, daß er unter so
seltenem Seelenanteil in Florenz kopiert hatte. Die Mag-
dalena Tizians drängte sich im Wachen und Träumen
mit ihrem fesselnden Glanz zwischen sich und jene ent-
legenen Tage, da ihm selbst reuige Magdalenenthränen
die Füße genetzt. In verzweifelter Stimmung sagte er
mir eines Tages, als ich mich nach seinem „Geheimnis"
erkundigte: „Es muß doch das meine bleiben. Sie
glauben nicht, in welchem Zustand ich mich befinde. Wie
einem das Gedächtnis in Stich lasten und quälen kann —
oder wenigstens mich das meine! Trotz der Lebhaftigkeit,
mit der sich mir damals das Bild jenes Mädchens ein-
geprägt — sie ist tot, wie ich jetzt erfahren — kann
ich mir es mit untrüglicher Bestimmtheit und klarer
Deutlichkeit nicht mehr vorstellen. Oft meine ich es zu
sehen, Wahr und bestimmt; gleich darauf aber schwebt es
nur noch vor mir wie in Duft und Nebel getaucht.
Namentlich in meinen Träumen seh' ich sie wieder wie
in den Tagen unsrer Liebesheimlichkeit, aber vor dem
Hellen Tageslicht entflieht die reizende Erscheinung. Und
was mich besonders quält: auch sie ähnelt der Tizianschen
Magdalena. Ob mir da der Hang meiner Phantasie
zum Idealisieren keinen Schabernack spielt? Es ist zum
toll werden! Sonst ist das Bild fast fertig, nur mit der
feineren Ausführung des Gesichts komme ich nicht zu
stände. Auch mit Modellen habe ichs versucht. Und
ich hatte Glück. Ich fand ein Mädchen, schön und groß
mit entzückendem Jncarnat; auch das goldblonde Haar
fehlte nicht. Aber kein Ausdruck! Und plötzlich — mitten
im Malen — glaube ich das Urbild meiner Schlummern-
den wie im Leben vor mir zu sehen, zum Greifen deut-
lich. Doch es hält nicht stand. Beginne ich, nach ihm
zu malen, entschwebt es gerade wie ein Geist, den man
anruft. O, daß ich mein Gedächtnis meistern, die Kraft
meiner Phantasie steigern könnte! Aber dafür gibt es
kein Mittel ..."
Das Bild wurde schließlich doch fertig. Es machte
Aussehen, von sich reden. Es war das erste, in welchem
die Neigung des Künstlers für Darstellung visionärer Zu-
stände, für Traum und Hochschlaf, für Somnambulismus
sich regte, unter einem auffälligen Abweichen von seiner
früheren sonnenhaftleuchtenden Farbengebung zu gunsten
dämmerhafter Stimmung. Und es war auch das erste
Bild, in welchem jener eigentümliche Franentypus auf-
tauchte, den er seitdem so vielfach variiert hat, in seiner
Kassandra, seiner Pythia, der „Seherin von Prevorst",
dem „Kätchen von Heilbronn unterm Fliederbusch", im
„Erwachen Julias in der Totengruft" u. s. w., immer
anders und doch auch imnier derselbe, und in dem ich
sehr bald wiederum eine Verwandtschaft mit der Sancta
Magdalena herausfand. Damals erschien jener Artikel,
in welchem Munk als ein „Romantiker der Renaissance"
bezeichnet ward. Er war darüber keineswegs erzürnt.
Der Vergleich mit Heinrich von Kleist regte ihn an,
nicht auf. Nur ein Nachahmer wollte er nicht genannt
sein. „Ja, ich bin ein Romantiker," sagte er, „und das
Land meiner Sehnsncht ist die Anschauungswelt Tizians.
Ich will mich gerne so nennen lasten. Was aber den
Gesichtsausdruck meines „Geheimnisses" betrifft, zu dem
da der gelehrte Herr Kunstkritiker so viel knnstgeschichtliche
Parallelen auskramt, so verdanke ich ihn doch einem
 
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