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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Flotow, Max von: Kunst und Handwerk: ein Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0278

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Lin Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte der Gegenwart, von Mar v. Flotow



Dir Grablegung Christi, von Julius Ltetka

Sollten die königlichen Liebhabereien des unglücklichen letzten Ludwig, seine schwärmerische Verehrung des roi
solsil, welche in den bayrischen Königsschlössern die Formen des Rokoko zu neuem Leben weckten, bereits
anfangen, den lebendigen Strom des deutschen Kunstschaffens zu beeinflussen und demselben eine neue Richtung
zu geben? Man durfte es beim Anblicke des Münchener Ausstellungspalastes beinahe glauben, wenn auch hier
die zopfigen Liebhabereien blos als Auswüchse erscheinen, welche — mehr das dekorative Element repräsentierend
— die dem Boden einer reinen Renaissance entwachsenen Grundformen des Gebäudes phantastisch nmranken.
Aber auch im Innern der Ausstellungshalle machte sich, wie bereits bemerkt, der Stil des Rokoko bereits in bedenk-
licher Weise geltend und wir begegneten, namentlich unter den Vertretern des bayrischen Kunstgewerbes, einer Reihe
von Ausstellungsgegenständen, welche in ihren unruhigen, goldüberladenen Formen, in ihrem übermäßigen
Schnörkelwerke und der souveränen Nichtachtung des praktischen Lebensbedürfnisses die Erinnerung an eine
Zeit heransbeschwören, welche das gebieterische »cur tsl esc irotrs plaisir!« auch in der Kunst zum Ausdrucke
brachte. Die märchenhafte Pracht der Königsschlösser, die nach dem Tode Ludwigs II. auch der großen
Öffentlichkeit zugänglich wurde, scheint eine gewisse Blendwirkung auf das deutsche Kunstgewerbe ausgeübt zu
haben, denn der innere Zusammenhang zwischen den in einem der Mittelsäle der Ausstellung zur Schau ge-
brachten Pracht- und Prunkstücken aus Schloß Chiemsee, zwischen dem phantastischen Goldschlitten Ludwigs II.
und den fürstlich ausgestatteten Rokokozimmern, den in Hellen Farbentönen gehaltenen und mit verschwenderischem
Reichtume an Gold ausgestatteten Saloneinrichtungen, welche das moderne deutsche Kunstgewerbe für die Be-
dürfnisse des praktischen Lebens geschaffen, dürste dem Münchener Ausstellungsbesucher kaum entgangen sein.
Einen Fortschritt für das deutsche Kunstgewerbe vermögen wir freilich in dieser Wiederannäherung an den
Zopfstil nicht zu erblicken — hoffen wir, daß das deutsche Kunsthandwerk diesen Weg nicht weiter verfolgen
wird, einen Weg, der von dem mit einer schlichten Schönheit verbundenen Nützlichkeitsstandpunkt zu einer in
den überladensten Formen arbeitenden Prunksucht unrettbar hinüberführt.
Aber Alles im Bereiche unsres Seins ist dem Gesetze der Veränderung unterworfen; die Menschheit
kennt keinen Stillstand; jede Kultur, jede Kunst, jedes Handwerk — jedwedes menschliches Schaffen begnügt
sich nicht mit einem starren Festhalten an den seitherigen Formen, sondern sucht in stetem Wechsel der äußern
Schale den Kern aller Dinge flüssig zu erhalten. So übernahm das Kunsthandwerk der Griechen und Römer
die kunstgewerblichen Formen des Orients, um sie mit dem Geiste ihrer eigenen Zeit zu verschmelzen und aus
den einer fremden Kultur entlehnten künstlerischen Formen selbstschöpferisch zu gestalten. So bildete sich
das Kunsthandwerk des Mittelalters an den Erzeugnissen des klassischen Altertums und gebar, indem es die
Überlieferungen der Griechen und Römer in sich aufnahm, umbildete und mit einem neuen Geiste erfüllte, die
edlen Formen der Renaissance, welche wiederum unter dem Einflüsse politischer und volkswirtschaftlicher Ver-
hältnisse sich in die Formen des Barock- und später des Rokokostiles verirrten. Der Geist jeder Zeit gelangt
so in den Formen ihrer Kunst und ihres Kunstgewerbes zu lebendigem Ausdrucke und wir dürfen wohl das
 
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