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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Brandes, Otto: Der Salon Meissonier, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0366

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Der Salon Meissonier.
übereinander auf einem schönen dunkelroten Grunde, jedes
so weit von dein andern, und die verschiedenen Künstler
unter sich wieder so weit von einander getrennt, daß man,
ohne das Zwischenreden eines ansdringlichen Nachbarbildes
sich ruhiger ungestörter Betrachtung jedes Kunstwerkes
widmen kann. Thut die Raumsülle hiefür auch ihr bestes,
so soll doch nicht in Abrede gestellt werden, daß bei dem
Arrangement und der Gruppierung ein echt künstlerischer
Sinn liebevoll gewaltet, der wohlthuend von der admini-
strativen Hängemethode im Jndustriepalast abweicht.
Eine Neuerung, die für die dekorativen Bilder erst
eine gerechte Würdigung zuläßt ist ferner eingeführt
worden. Diese Bilder sind in der Weise angebracht, wie
sie hängen, wenn sie ihrer definitiven Bestimmung über-
wiesen sein werden. Deckengemälde befinden sich an der
Decke und sichern so den Gesamteindruck, während man
in auf Tischen ausgestellten Spiegeln, ohne sich den Hals
verrenken zu müssen, die Details studieren kann. Für
Pu vis de Chavannes' großes, die kleinere Seite des
langen Saalrechteckes einnehmendes Dekorativ-Gemälde
»Inter ^rtes et dlüturain«, welches für das Treppenhaus
des Museums zu Rouen bestimmt, ist ein Faksimile seines
Aufstellungsplatzes hergerichtet worden.
Für die Skulptur hat man dagegen nur stiefmütterlich
gesorgt. Sie ist in den offenen rings um die Kuppel
laufenden Galerien bei schlechtem Lichte untergebracht.
Obwohl Dalou und Rodin hier ausgestellt haben, so
muß man doch in den Jndustriepalast wandern, um sich
von den hervorragenden Leistungen der französischen
Bildhauerei einen Begriff zu machen.
Die künstlerische Gesamtnote des Salon Meissonier
ist — wir haben es schon gesagt — sehr hoch. Er strotzt
von jugendlicher Frische und Kraft. Überall ist ein
Streben ersichtlich, immer neue Formeln des Ausdruckes
zu finden, der Vollendung immer näher zu kommen, die
Devise heißt: „Excelsior!" Die in diesem Salon nieder-
gelegten Bürgschaften sprechen dafür, daß die französische
Kunst noch schöne und große Tage zu verzeichnen haben
wird. Nebenbei weht ein vornehmer Hauch durch diese
Ausstellung. Die Tendenz zu verblüffen fehlt, talentvoll
gemalte Rohheiten sind nicht zugelassen und das Spieß-
bürgertum in der Kunst, das Möblierungsbild der guten
Stube, hat sich nur schüchtern hierher gewagt. Selbst-
redend können wir nicht allen, sogar vielfach bewunderten
Werken unfern Beifall zu teil werden lassen, ja wir stehen
nicht an, manches, was einzelne für eine neue Ausdrucksform
der Kunst, für ein holdes Kind der Phantasie halten, ganz
einfach als eine Ausgeburt derselben, als einen Wcchscl-
balg zu bezeichnen.
Ich denke hierbei hauptsächlich an Besnards Skizze
für ein Deckengemälde, das bestimmt ist. den „Salon
der Wissenschaften" in dem prächtigen Pariser Stadt-
hause zu schmücken. Die Aufgabe, welche der Künstler
sich gestellt hat: „Die Wahrheit, welche die Wissenschaften
mit sich fortreißend, ihr Licht über die Menschen ver-
breitet", war eine sehr schöne. Seine Skizze aber ist
eine große Verirrung. Die nach vorwärts stürmende
Wahrheit, eine natürlich nackte Figur hat ein Feuer-
bündel unter dem Arm, welches wie eine brennende Stroh-
garbe aussieht, ihr nach stürmen allerhand blaue nebelhaft
umrissene stcrngekrönte Gestalten, die Wissenschaften, die
einen, von dem ungewohnten Lichte erschreckt die Arme
weit von sich streckend, die andern bereits an das Licht
Die Kunst für Alle V

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gewöhnt, erhobenen Kopfes der Lichtquelle folgend. Es
gehört viel Gutmütigkeit dazu, diese Erklärung anzunehmen.
Das Ganze ist eigentlich nur ein Farbenkankan aus blau
oben und orange unten. Besnard, der auch sonst noch
eine reichhaltige Ausstellung von Bildern hat, darf man
nicht beurteilen wie andre Künstler. Er hat den Furor,
neue Farbeneffekte zu erfinden und hierbei geht die ge-
sunde Vernunft mit ihm durch. Ich glaube, ich habe
es hier schou einmal gesagt, der auch in diesem Salon
in seiner „Frau beim Kerzenlichte" sein reiches Talent
bekundende Künstler ähnelt dem österreichischen Maler
Romako in seiner Arbeit. Bald ein Stück prächtiger,
fein empfundener Malerei und dann wieder ein ganz
zügellos wildes, an Wahnsinn grenzendes koloristisches
Phantasiestück. In diese Kategorie gehört auch Besnards
»Vision cke jemine«, eine halbbekleidete in allen Farben,
namentlich aber in den Lieblingstönen des Malers blau
und orange schillernde Frau, von der viele als Vorzug
das ätherisch Durchsichtige rühmen. Die Frau sitzt schein-
bar auf einem vielleicht Blumen bedeutenden Gegenstände,
die eine Hand auf eine Steinbank gestützt, den Hinter-
grund schließt ein Park mit durch große hellgrüne Farben-
fetzen angedeutete Durchblicke gegen den Himmel ab, die
etwa aussehen wie Stücke eines schlecht entfernten grünen
Anschlagezettels. Es gibt Besnardiner, die auch dieses
Bild schön finden, von dem ich mir nur denken kann,
daß es in einer durch einen Morphiumrausch herbei-
geführten Sinnestäuschung entstanden ist. Wie weit ab
sind wir von dem im Kolorit so maßvollen Bilde Bes-
nards aus dem Salon 1887: „Der Lebensabend!".
Doch lassen wir diesen sonderbaren Heiligen und
wenden wir uns dem großen dekorativen Gemälde von
Puvis de Chavannes zu. Das die ganze Schmal-
wand des einen großen Saales einnehmende Bild, welches
in dem Tone alter Gobelins gemalt ist, verfolgt die
Aufgabe, den Reichtum Rouens in seinen verschiedenen
Manifestationen zu schildern. Im Vordergründe teilt
ein Marmorboden, dem Lilien entsprießen, das durch
antike Mauerbogeu und den Blick auf die Seine ab-
geschlossene, von Apfelbäumen beschattete Bild in zwei
Teile. Links von dem Becken ist eine auf einem Kapitäl
sitzende weibliche Figur in antikem Gewände, damit be-
schäftigt, nach der ihr von einer andern weiblichen Figur
gebrachten Tulpe eine Porzellanplatte zu bemalen. Ein
junger Bursche trägt auf dem Kopfe ein Brett mit andern
zu dekorierenden Gegenständen herbei, während weiter im
Vordergründe eine weibliche, liegende Figur der Arbeit
zusieht. In der Mitte reicht eine Mutter in schöner
Haltung von dem Segen der Normandie, dem Apfel-
baum, eine rotbäckige Frucht dem Kinde auf ihrem Arm,
das infolge seiner Größe eigentlich kein Recht mehr hat
getragen zu werden. Rechts ein mit Trauben beladener
nackter Knabe und noch weiter rechts eine Gruppe Männer
in moderner Tracht mit Plänen und Zeichnungen. Im
Hintergründe graben zwei nackte Männer nach den
archäologischen Schätzen des alten Rotomagus. Jede der
einzelnen Gruppen ist nicht ohne Reiz und Poesie, aber ich
vermisse den einheitlichen Zusammenhang in diesem Bilde.
Trotzdem ist dasselbe ungleich besser als alles, was ich in
den letzten Jahren von Puvis de Chavannes gesehen habe.
Von den Dekorationsbildern wäre hier noch zu
nennen Baudouins Episode aus der Belagerung von
Paris. Ein bärtiger Nationalgardist hält vor einem
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