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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pecht, Friedrich: Die zweite Münchener Jahres-Ausstellung, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0436

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ZZ8

Die zweite Münchener Iahres-Ansstellung

Abschied ich schon erwähnt, gab dann noch zwei kleinere Bilder, einen den Rapport diktierenden Offizier nnd
einen solchen, der in der Dämmerung einen offenbar gefährlichen Ritt ganz allein macht, beide auch in sehr
charakteristischer Weise 1813—1814 entnommen. Ottenfeld hier gab dann ein kaukasisches Lager voll male-
rischen Reizes, und I. von Brandt einen heimkehrenden und Siegeslieder singenden Kosakentrnpp ans dem
siebzehnten Jahrhundert mit seiner gewohnten Meisterschaft und einer Farbenpracht, die noch von gar keiner
Mode angekränkelt ist. Noch besser, weil mehr dramatische Spannung zeigend, ist seine Verteidigung eines
polnischen Gehöftes, voll sprühender Lebendigkeit. Daß ein Italiener aber den Franz Hals oder van der Helft
studiert, wie dies offenbar Glisenti bei seiner Vorführung von gefangenen Bauern vor zechende Reiteroffiziere
aus dem dreißigjährigen Kriege that, ist gewiß selten, und noch seltener, daß ihm die Wiedergabe derselben so
auffallend gut gelang. Die Italiener haben nun noch eine ganze Anzahl Bilder, bei denen sich überall ihre
vollkommene Selbständigkeit zeigt und wie es ihnen nicht einfällt, alle Pariser Moden mstznmachen. So
Capriles köstlicher Trinker, dall' Occas reizendes Dämmerungsbild ans Verona, Milesis charmant frische
„Überfahrt" nach dem Lido, Titos prächtige Venezianerin, die sich einen Schuh anssncht, Contis reizende
Florentinerin; überall findet man dieselbe Frische und gesunde Beschränkung ans die Wiedergabe des nationalen
Lebens, die um so achtbarer ist, als sie sich ihre Käufer im Ausland oder doch bei den Fremden suchen müssen,
die Italien besuchen.
Ich komme nun noch ans eine Reihe Münchener Bilder, bei deren Erfindung die Phantasie sehr wenig,
das Modell aber um so mehr beteiligt war, und wo also das künstlerische Verdienst in der mehr oder weniger
geschickten Benützung desselben lag. So bei Kleinmichels anmutig spielenden Kindern, Erdtelts mit dem
Lieblingskätzchen spielenden zwei Mädchen, Engelhards zwei, gewissermaßen die himmlische und irdische
Liebe darstellenden Schwestern, von denen die eine Nonne, die andre Modedame geworden, Henßers gut
studiertem „Büßer", Jakobides bekanntem zahnlosen Großvater mit dem Enkel, Falckenbergs „letzte Zu-
flucht". Immerhin mehr Erfindung zeigen Hugo Königs reizend kolorierter „Abend in Katwyk", Leighs
Großvater, der den Kindern Märchen erzählt, Nauens köstlich frischer „Znknnstshusar", Th. Schmidts
„Mittagssuppe", wo das ältere Schwesterchen das jüngere füttert, v. Schmädels „Versuchung", wo ein hübsches
bei einer Wäscherin angestelltes Mädchen eben einen kostbaren Schmuck nebst Boukett erhalten hat und von der
letzteren offenbar vergeblich abgemahnt wird, ihn anzunehmen. Zn den weitaus besten dieser Bilder gehört
jedenfalls Leibls „Bauernstube", wo der Bauer ein hübsches Mädchen so in die Enge getrieben hat, daß sie
sich wohl wird ergeben müssen. Freilich sieht sie witzig genug aus, daß man in Zweifel bleibt, ob nicht am
Ende er eingefangen werden wird. Das Gemälde ist aber von einer Feinheit und Selbständigkeit der Mache,
die seine Erwerbung für unsre Pinakothek vollkommen rechtfertigt. Unter den wenigen Berliner Bildern, die
sich zu uns verirrt, ist dann Lessings Arzt, der einer jungen Kranken den Puls fühlt, eine der besten der
verschiedenen Darstellungen dieses Vorwurfs. In Spitzwegs Erbschaft haben sich drei Künstler geteilt:
Sporer, der den tief gemütlichen landschaftlichen Teil bis znm Verwechseln wiedergibt, und Kronberger,
der die Thorwarte, Stadtsoldaten, Schnurranten und andere ehrwürdige Reste unsrer biedermayerischen Vorzeit
übernahm. Die Gnomen, Nixen, Hexlein hat dann Unger aufgezogen, sowohl wenn er uns eine von Schnecken
gezogene „Eilpost", als wenn er den im Schatten eines Pilzes seinen Liebesbrief auf Bestellung schreiben-
den Gnomen vorführt nnd in beiden Fällen so viel Humor entwickelt, daß man sich nur wundert, weshalb
diese kleinen Perlen nicht noch viel mehr Aufmerksamkeit erregt. Auch Harburg er, scharf nnd geistreich
wie immer, ist reich an solchen drolligen Ehrenmännern, deren einen er jetzt, das letzte Seidel in der Hand,
auf dem leeren Bierfaß sitzen läßt, wie Marius aus den Trümmern von Karthago. Breling gibt dann eine
artige Kellnerin dazu, welche sehr anmutig mit doppelter Kreide aufschreibt. Fräulein Emma v. Müller
aber setzt einen biederen Landbriefträger durch zwei hübsche Bauernmädchen nicht wenig in Verlegenheit, da
jede von dem Brief, den er in der Hand hält, fragt: „Für mich?" Vor diesen Bildern sieht man eigentlich
erst, daß der Humor den Münchenern noch lange nicht ausgegangen, so wenig als die Phantasie!
Als ein Muster von geschickter Benützung der Reize des Helldunkels, wie außerordentlich geistvollen
Vortrags kann Paul Höckers ihrer Enkelin am Kamin erzählende Großmutter gelten, die das goldene Braun
des Rembrandt ins Grünblau übersetzt, aber damit kaum weniger glücklich ist. Denn von allen Künstlern
der neuen Richtung versteht es Höcker weitaus am besten, die Phantasie mächtig anzuregen zur Ergänzung
dessen, was er nur ahnen läßt, ohne die Sache selbst zu geben, da der Totaleindruck ihm alles, die Indivi-
dualisierung wenig oder nichts ist, obwohl er auch das unbedeutendste durch seine von Leben sprühende Be-
handlung interessant zu machen versteht. In dem malerischen Vortrag und dem Helldunkel sucht auch Ernst
Zimmermann den Reiz seiner Bilder nnd hat darin bei zwei Alten, die mit einem Enkel in der Kirche
beten, sehr Erhebliches geleistet, nicht nur in seinem „Gelehrten". Auch Trübner behandelt das Helldunkel
mit viel Geschick in seinem zeitunglesenden „Mohren". Musiziert wird fast zu viel in der Ausstellung, von
Stelzners Luther, der seinen Kindern Singunterricht gibt, bis zu Springs ein neues Lied probierenden
Mönchen oder Kozackiewicz'sHochzeitsmusikanten in einem russischen Dorfe hört das Gedudel nicht auf.
 
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