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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Adelung, Sophie von: Das russische Kostüm, [2]: eine Atelier-Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0462

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von s. v. Adelung

25g


Die Romanleserin. von F. I. ter Linden
Münchener Lahres-Ausstellung 1890
Photographieoerlag der photographischen Union in München

sofort für sich einzunehmen und sich geneigt zu machen.
Er lebte sich bald in die fremden Verhältnisse ein, hatte
Freunde unter Prinzen, Trödlern und Künstlern und
schien sein Heimweh vollständig überwunden zu haben,
wenigstens sprach er nur höchst selten von dem Gute
seiner Tante und der Kousine, die er nur die „Nichte"
nannte.
Etwa acht Tage nach jenem Gespräch in meinem
Atelier begegnete ich Lensky auf der Straße, als ich aus
der Kunstschule kommend in mein bescheidenes Restaurant
zum Essen ging.
Er zog meinen Arm in den seinen, drehte mich
herum und schlug die entgegengesetzte Richtung ein.
„Wohin?" fragte ich verwundert.
„In mein Atelier," erwiderte er kurz.
„Ich muß zuin Essen!"
„Essen? das kannst du noch lange — komm."
Ich mußte nachgeben und mit knurrendem Magen
folgen. Schweigend führte mich der sonst so Redselige
durch die Straßen, schweigend stiegen wir die Treppe zu
seiner Wohnung empor: es schien etwas Wunderbares
über ihn gekommen zu sein, seine Augen leuchteten, seine
feinen Nasenflügel zitterten. „Was hat der Mensch nur
wieder angestellt?" dachte ich belustigt bei mir, „er sieht
so begeistert aus, als habe er etwas Außergewöhnliches
erlebt."

„Ich ging soeben zu dir" erklärte Lensky, während
er den Teppich, welcher über der Thüre am Eingänge
des Ateliers hing, emporhob, um mich durchzulassen.
„Ich wollte dich holen — du kamst mir zuvor."
„Ich ging aber zum Essen," konnte ich nicht umhin,
wenn auch leise, so doch vorwurfsvoll zu sagen.
Aber Lensky hörte nicht. Er war ganz in das
Anschauen einer Leinwand vertieft, die er auf der
Staffelei zurechtrückte, um sie, wie es schien, ins beste
Licht zu stellen. Dann trat er zurück, um mich vorzulassen.
„Lensky," rief ich erstaunt: „Das ist das Beste,
was du bisher gemalt! Wo in aller Welt hast du
das her?"
Es war blos eine Skizze, genial und leicht ent-
worfen, gedrängte Lichter, tiefe, satte Schatten. Ein
bleiches, liebliches Mädchenantlitz schaute mit dunklen
Augen unter einem gestickten Kopfputz hervor, Perlen-
franzen hingen ihr bis tief in die Stirn herein. Die
schlanken Glieder waren in schweren, golddurchwirkten
roten Brokat gehüllt, geschlitzte Ärmel fielen von der
Schulter herab. Darunter kamen die feinen, weißen
Hände in enganschließenden, blaßrosa seidenen Aermeln
hervor, welche ebenfalls mit Perlen über und über ge-
stickt waren. Das Brokatüberkleid war reich mit Zobel
verbrämt, Perlen und Steine blitzten am Hals und an
den Fingern. Alles das war flüchtig, mehr angedeutet
 
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