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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 19.1903-1904

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[Heft 5 (1. Dezember 1903)]
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Pauli, Gustav: Graf Leopold von Kalckreuth
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https://doi.org/10.11588/diglit.12082#0120

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GRAF LEOPOLD VON KALCKREUTH <ö=i=^

Aber was er ihm und seiner Zeit bedeute, malt, überhaupt nie etwas von dem, das
das sagt ihm sein Gefühl. Die Werke unserer der Bildungsphilister schön findet. Er hat
ernsten Künstler sind nicht so leicht zu er- sich nie wiederholt und ist so wenig Spezi-
schöpfen. Ein jeder, der ihnen mit empfäng- alist, daß einer, der von einem neuen
licher Seele naht, kann Neues aus ihnen ent- Kalckreuth hört, unmöglich wissen kann,
nehmen, das er aussprechen darf. Vermutlich was für ein Bild das sein wird, ob ein
wird ja auch die Nachwelt vor allem danach Interieur oder eine Landschaft, ein Por-
fragen, was der Künstler seinen Zeitgenossen trat oder eine Schilderung aus dem Leben,
bedeutet habe. Höchstens könnte man einiges sagen, was

Leopold Kalckreuth ist in einem Künstler- das Bild nicht sein wird, nichts Geflun-
hause herangewachsen. Sein Vater, der Graf kertes, nichts Theatralisches, nichts, das
Stanislaus, ist der älteren Generation wohl sich über den Wolken abspielt,
bekannt als einer der beliebtesten Land- Als eine vielseitig tätige, nach vielen Rich-
schafter seiner Zeit. Das Gebiet, das er liebte tungen anregende und doch einfache, fest in
und ausschließlich kultivierte, war das Hoch- sich beschlossene Persönlichkeit steht Kalck-
gebirge. Er hat es oft bereist, in der Schweiz, reuth jetzt vor uns. So wirkt er seit einer
in Deutschland, in Frankreich und Spanien. Reihe von Jahren. Und doch hat auch er
Manche seiner Bilder waren zu ihrer Zeit sich erst finden müssen. Es gibt frühe Bilder
berühmt — heute sind sie es nicht mehr, und Zeichnungen von ihm, bei denen man
Schließlich zog er seine Kreise enger und sich ebensosehr, vielleicht mehr noch an
malte, wie so mancher andere, eigentlich diesen oder jenen, als an den heutigen Kalck-
nur noch ein Bild, das sich einer beson- reuth erinnert fühlt. Das war die Zeit, als
deren Popularität erfreute, eine Alpenland- die Eindrücke der Weimarer und Münche-
schaft, in der sich ein vom Widerschein ner Studienjahre den Werdenden beherrsch-
der sinkenden Sonne erglühender Schnee- ten, als er — vielleicht unbewußt — einen
gipfel erhob. Selten wohl ist in einer gewissen Anschluß an das Publikum suchte.
Künstlerfamilie der Sohn dem Vater so Und wie begreiflich ist das, wer suchte als
unähnlich gewesen wie es Leopold Kalck- Künstler nicht nach einer Gemeinde ver-
reuth war. Er hat keine Alpenglühen ge- stehender Wesen, nach Menschen, deren

Beifall ihm den Widerhall
der eignen Schaffensfreude
gäbe! Nun, Kalckreuth hat
sie damals nicht gefunden.
Und eigentlich ist er darum
auch nicht so sehr zu be-
dauern, denn diese Erstlings-
werke waren seine bedeu-
tendsten nicht. Es gibt aus
dieser Zeit ein Gemälde
von ihm, das er „Herbst"
genannt hat. Da sitzt ein
junges Weib schmerzver-
gessen betend oder träu-
mend vor einem einsamen
Heiligenbild. Und noch ein
anderes Gemälde habe ich
aus jener Zeit gesehen: einen
alten Fischer, der seine le-
bensmüden Glieder auf einer
Bankausruhtund sehnsüchtig
aufs Meer hinausschaut. Der
Titel des großen Bildes hieß:
„Kann nicht mehr mit".
Viele Leute waren hiervon
sehr ergriffen. In einem
solchen Bilde fanden sie nicht
nur Malerei, sondern auch die
graf Leopold von kalckreuth Studien (1883) Illustration zu einem Stück

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