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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 19.1903-1904

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Zuckerkandl, Bertha: Die 20. Ausstellung der Wiener Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.12082#0435

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SAAL IN DER 20. AUSSTELLUNG DER W IENER SEZESSION

DIE 20. AUSSTELLUNG DER WIENER SEZESSION

Von B. ZUCKERKANDL

Als letzte der Frühjahrs-Darbietungen hat
die Sezession ihre Gaben gebracht. Wie
stets, ist man bei dieser Vereinigung irgend
einer interessanten künstlerischen Vertiefung
gewärtig.

Stendhal sagt irgendwo: Die Malerei ist
nichts anderes als konstruierte Moral. Er
meint dies selbstverständlich nicht im engen
Begriff des Wortes. Moral dünkt ihm hier
jede Gestaltung des Schönen durch ein Tem-
perament; jede Bildverdichtung einer echten
Empfindung; jede in Kunst übersetzte see-
lische Erregung.

Diesen Gedanken erweiternd, könnte man
auch Kunstausübung als konstruierte Moral
bezeichnen. Wenn der Einzelne an seiner
inneren Vervollkommnung arbeitend, sich
nicht lediglich Selbstzweck ist, sondern vor
allem sich als Glied eines Ganzen fühlt,
und für die Gesamtheit durch die Macht
seines Impulses eine Höherwertung erstrebt,
dann liegt in einer solchen Handlungsweise
— Kunst-Moral.

Das diesmalige Programm der Sezession
entspringt solchem Empfinden. Man ist dort
allmählich zu mancherlei Erkenntnissen ge-

reift. Unter anderm zu dem Bewußtsein,
daß der stereotype, in allen Kunstkritiken
wiederkehrende Satz „Ueberwiegend ist in der
Ausstellung das Landschaftsbild" eigentlich
unbewußt eine ernste Mahnung enthält. Die
Mahnung, daß, wenn auch die Kunst der
Naturwiedergabe eine herrliche und pflegens-
werte ist, es doch für den Künstler auch andere
Aufgaben gibt, welchen er sich gewachsen
zeigen muß. Und zwar vor allem dem Er-
kennen und Bilden des menschlichen Körpers
und seines Zusammenhanges mit der Natur.
Der Akt sollte nicht, wie bisher, vernach-
lässigt und nur von Einzelnen gepflegt
werden.

Es wurde, als im vergangenen Frühjahre
die Vereinigung das Ausstellungs-Programm
für das laufende Jahr herstellte, als Haupt-
punkt die Forderung aufgenommen: Jedes
Mitglied hat, falls es Bilder für die Früh-
jahrs-Ausstellung einsendet, ein Aktbild zu
bringen.

Eine Vergewaltigung des Individualitäts-
Rechtes war durch diesen Zwang nicht zu
befürchten. Denn wer zur reinen Natur-
wiedergabe neigte, hatte noch Platz genug,

Die Kunst für Alle XIX. i 15. Juni 1004

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