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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 24.1908-1909

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Roll, Alfred Philippe: Alfred Roll über das Moralische in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12503#0137

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ALFRED ROLL UBER DAS MORALISCHE IN DER KUNST

Uebersetzt von E. Müller-Roeder

Aus einem schönen Kunstwerk, welches auch zu beurteilen. Ich möchte deshalb niemand
sein Gegenstand sei, leuchtet stets das das Beispiel dererotischen Künstlerempfehlen,
künstlerische Gewissen seines Schöpfers her- denn sie hätten die ihnen eigene Anmut
vor. Aus der Reinheit der Linien erhellt sein ebensowohl in anständigen Sujets zum Aus-
Wille. Und die Leute von Geschmack, die druck bringen können. Unsere Moral ist frei-
nur auf denWert der Form achten, sind leicht lieh erheblich verschieden von der der ersten
geneigt, das Leichtfertige des Inhalts zu ent- Christen. Sie suchten das Leben zu beschrän-
schuldigen. Aber sie stehen nicht allein: die ken, es zu ersticken — all unser Verlangen
Nichtkenner sehen im Gegenteil zunächst den dagegen geht dahin, es sich mehr und mehr
Inhalt und sie haben das Recht, ihn streng entfalten zu sehen. Schöne Nudität flößt uns

starke Liebe zur Natur ein: sie erhöht un-
sern Willen, das holde Dasein gut anzu-
wenden. Sie ist heilig. Sie ist gleichzeitig
das allermateriellste und dasalleridealste.
Da sie tatsächlich dasjenige ist, was die
Menschen am meisten begeistert, bringt
eine jede Generation in ihr all ihr Träu-
men und Sehnen fromm zur Erscheinung.
Ueber den festen Hüften der Venus von
Milo, über ihren sieghaften Brüsten, über
ihren lieblichen Schultern schwebt noch
das wollüstige Lächeln des griechischen
Lebens, und in dem edeln Rhythmus
ihrer geschmeidigen Glieder ruht die
Liebe einer Rasse für das göttliche
Gleichmaß der Vernunft. Betrachtet als-
dann die nackten Frauengestalten auf dem
Konzert des Giorgione: die aristo-
kratische Ueppigkeit ihrer goldig schim-
mernden Haut gemahnt an die Pracht
Venedigs, und das lässige Entzücken, in
das die Klänge der Gitarre sie versen-
ken, lockt uns zu der unendlichen Träu-
merei der modernen Seele. Betrachtet
dann eine Darstellung des Nackten aus
dem 18. Jahrhundert, die Diana von
Houdon z. B. In ihrem leichten Lauf
lebt die ganze bewegliche Eleganz des
französischen Volkes; in der Feinheit
ihrer Formen und der Freiheit ihrer Hal-
tung spiegelt sich alle Anmut und aller
Esprit des Zeitalters der Philosophen.
Und nun lenkt euren Blick auf eine
Nymphe Henners. Ihr erkennt sofort,
daß sie unsere Zeitgenossin ist. Denn
ihre Proportionen, ihre Stellung, ihre
selbstbewußte Miene, alles an ihr ist Kraft
und demokratische Kühnheit. Und des-
halb meine ich, daß durch den Gang der
Weltgeschichte hindurch die schönen
weiblichen Nuditäten die verschieden-
sten Nuancen des Menschengeistes am
a.kampf bildnis besten zum Ausdruck bringen.

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