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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 24.1908-1909

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Kromer, Heinrich Ernst: Kunstwerk und Bild
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https://doi.org/10.11588/diglit.12503#0620

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KUNSTWERK UND BILD

Von H. E. Kromer

Ein Bild kann ein Kunstwerk sein; ein noch nicht den Rang eines Kunstwerks ver-
Kunstwerk muß nicht notwendig auch ein liehen, noch weniger eines Bildes ; es wäre eine
Bild sein, um seines ehrenvollen Prädikats Studie, ob auch eine noch so meisterliche,
teilhaftig zu bleiben. Noch vor nicht all- geblieben und wäre wohl kaum des Ein-
zulanger Zeit waren Laien wie Künstler in rahmens gewürdigt worden, geschweige des
dieser Frage strenger; man hatte noch eine Ausstellens und Verkaufens. Die Schätzung
dritte Rangstufe, die Komposition, und wäre ist heute anders und es soll auch gar nicht
nicht leicht geneigt gewesen, alles als Kunst- versucht werden, den Fluß der Entwicklung
werk gelten zu lassen, was heute dafür gilt. zurückzustauen. Aber es ist doch bei manchem
Das Studienhafte, das heute manchem Ge- Werke — immer vorausgesetzt, daß der
mälde einen auszeichnenden Charakter ver- Künstlerin Auffassung und Technik reif sei!
schafft (man spricht von „meisterhaftem Wurf, — eine strengere Unterscheidung bei der
frischem Zugreifen, flotter Auffassung, bravou- Wertung zu machen; die Maler selber fühlen
röser Mache" und ähnlichem!) hätte dem Werk das, und machen, gleichviel ob bewußt oder

unbewußt, diese Rangabstufung heute
noch. Und der eingestandene oder un-
eingestandene Ehrgeiz eines jeden ist
doch, von der Studie zum Bild oder zur
strenger gefaßten Komposition vorzu-
schreiten. Dabei pflegt auch der ex-
tremste Moderne zuzugestehen, daß nur
ein mehr oder minder großes Maß von
Denken aus der Studie heraus zum Bild
und zur Komposition führt und daß das,
was man heute „absolute Malerei" nennt,
dabei etwas sehr Wünschenswertes und
Löbliches ist, aber nicht das Ausschlag-
gebende, indem es immer auf der Stufe
des rein Technischen stehen bleibt. Man
könnte hier, mutatis mutandis, mit Ham-
let sagen: „An sich ist nichts weder
gut noch schlecht; das Denken macht
es erst dazu . .

Man darf fragen: Soll ein Bild be-
wußt, mit Absicht, Bedacht und Berech-
nung geschaffen werden, oder soll es
entstehen durch Intuition, innere Ge-
sichte oder auch äußere, fertige, bild-
fertige und bildmäßige Eindrücke, die
in der Natur an den Künstler ungerufen
oder durch glücklichen Zufall heran-
treten?

Hier die Leidensgeschichte einer gu-
ten Studie, die man um all ihrer Quali-
täten willen als Kunstwerk ansprechen
durfte, deren Schöpfer aber den Ehr-
geiz hatte, aus ihr ein Bild und schließ-
lich gar eine Komposition zu machen.

Es war ein stehender weiblicher
Halbakt gewesen. Das rote Haar des
Weibes war aufgelöst und fiel über die
g.frampton la belle dame sans merci linke Schulter bis über den Busen hinab,

Ausstellung Venedig 1909 so den Uebergang von dem blüten-

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