Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 24.1908-1909

DOI article:
Konsbrück, H.: Über Naturstudium, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12503#0498

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
-b^> ÜBER NATURSTUDIUM <ö^-

einordnen, unterwerfen! Es ist ein ganz außer-
ordentlich verbreiteter Irrwahn, zu glauben,
man werde Künstler — Visionär also — wenn
man lernt, die Formen der Außenwelt nach-
zubilden — ohne daß die Visionsfähigkeit
a priori vorhanden ist. Sie ist nicht lernbar
und nicht lehrbar — sie ist das, was wir vor-
hin die Wiegengabe der Pallas nannten. Den
heutigen Bilderfabrikanten fehlt sie jedenfalls.

Der erste Maler: „Mir scheint, daß mein
Kater ausgezeichnete Folgen hat — ohne ihn
wäre es nicht zu unserem heutigen Gespräch
gekommen. Ich bin glücklich, daß Sie mir
den Star gestochen haben. Freilich verfalle
ich nicht in den neuen Wahn, mich plötzlich
für einen Visionär zu halten — das müßte
die Zeit bringen! — Aber ich irre doch nicht
mehr sinnlos umher wie bis zu diesem glück-
lichen Tage — ich sehe mich und meinen Be-
ruf in anderem Lichte — ich sehe andere Wege
und andere Aufgaben! — Ich danke Ihnen!"

Der zweite Maler: „Hier ist nichts zu danken
— ich sprach meine Meinung aus und rate
Ihnen sogar, sie nicht ungeprüft in Bausch
und Bogen anzunehmen. Vielleicht irre ich
mich. Aber: Versuchen Sie, aus dem Ge-
dächtnis zu reproduzieren!

Und wenn die ersten 100 Versuche auch

noch so elend ausfallen — bleiben Sie dem
Wege treu, der Sie allein ins gelobte Land zu
führen vermag. Humpeln Sie ruhig, kriechen
Sie im Anfang — Sie werden schon gehen
und laufen lernen. Wichtiger als alles ist,
daß der Weg erkannt ist! Welchen Sinn hätte
es, wie ein an einen Pfahl gebundener Bock
im Kreise herumzulaufen?

Uebrigens können wir schließlich eine Probe
aufdasExempel machen. UeberlegenSie kurz,
meine Herren, welche Lehre wir aus jeder Kari-
katur zu ziehen vermögen, wenn wir auch sie,
mit Recht, zur Kunst rechnen. Ich meine, ge-
rade hier zeigt sich erstaunlich deutlich, wie
wenig ein Künstler mit Naturwahrheit, mit
Naturstudium im realistischen Sinne anfangen
kann. Sie kennen Beispiele genug, daß die ge-
lungene Karikatur eines Menschen oft tausend-
mal besser, ähnlicher, treffender ist, als die
schönsten Porträts, die von oft bedeutenden
Porträtisten gemalt wurden. Warum? Weil
der Karikaturist stets und nur das Wesentliche
eines Kopfes, einer Figur und dieses dann ge-
steigert, übertrieben gibt. Das Wesentliche, das
zu sehen den Naturalisten nie vergönnt ist, weil
sie vor lauter „Naturwahrheif die Wahrheit
selbst nicht sehen und finden. JederKarikaturen-
zeichner muß nach dem inneren Bilde repro-

456
 
Annotationen