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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 28.1912-1913

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Hellwag, Fritz: Wie ein plastisches Bildwerk entsteht
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https://doi.org/10.11588/diglit.13091#0496

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sind es seit langer Zeit gewöhnt, uns die Arbeit Ergänzung nicht möglich ist. Aus diesem Unter-
eres Bildhauers so vorzustellen, daß er zuerst schied ergibt sich, daß der Tonmodelleur die
nach dem lebenden Modell seine Arbeit in Ton Formen durch fortwährendes Probieren heraus-
oder in einem ähnlichen Stoff knetet und dann finden kann, während sie dem Steinbearbeiter
in Stein oder Holz überträgt. Liegt es nicht stets geistig gegenwärtig sein müssen, denn ein
aber schon in dem Worte „überträgt", daß jener Schlag zuviel kann sein Konzept ganz ver-
Weg nicht der direkteste sein kann? Der wird derben. Aber noch andere Notwendigkeiten
vielmehr erst dann eingeschlagen, wenn der die sich aus dem Material ergeben, muß der
Künstler mit dem Meißel an den Steinblock Steinplastiker berücksichtigen. Er kann nicht
herangeht und aus ihm direkt bis zur Voll- wie der Tonmodelleur seine Arbeit von allen
endung seine Figur herausschlägt, ohne sich Seiten zugleich in Angriff nehmen und fort-
eines Tonhilfsmodelles zu bedienen. Dieses gesetzt um sie herumsehen, sondern er kann
Verfahren war lange Zeit vergessen und erst nur von einer einzigen Seite an sie herantreten
Adolf von Hildebrand hat es wieder aufgenommen und sie sich bildmäßig vergegenwärtigen. Da
und hat dessen Vorteile, Vorbedingungen und liegt nun der Block flächig und kantig gesägt vor
Folgen in der ausgezeichneten Schrift „Das ihm. Wird die Form eines kauernden Weibes,
Problem der Form in der bildenden Kunst" die, wie wir einmal annehmen, der Künstler
auch theoretisch begründet. Er hat damit das modellieren will, in ihm enthalten sein? Un-
Verlangen unserer Zeit nach einer wesens- gefähristjaderBlockhierfürausgewähltworden,
gerechten Behandlung jeglichen Materials auch aber nun gilt es, genauer zu berechnen: wenn
in die plastische Kunst eingeführt, gleichzeitig an dieser Stelle die Spitze des aufgestellten
die architektonische Bedingung der Raumein- Fußes die äußere Fläche des Steines berührt,
heit, die in barocken Zeiten verloren zu gehen wo werden die Knie, die Schenkel, der gebeugte
pflegt, wieder aufstellend. Rücken, der seitlich gewendete Kopf, wo der
Eine solche materialgerechte und direkte Be- auf den Boden gestützte und wo der zur Ab-
arbeitung des Steines erschöpft sich aber keines- wehr ausgestreckte Arm sich in dem Stein be-
wegs in der Entfaltung physischer Kräfte oder finden müssen? Es ist fast unmöglich, eine der-
manueller Fertigkeiten, sondern sie bedingt artige geistige Vorstellungskraft und eine solche
vielmehr eine fundamentale Aenderung auch manuelle Sicherheit zu besitzen, daß man diese
der geistigen Schaffensart. Folgen wir dabei vielerlei Formen und Ueberschneidungen von
den Gedanken des für Laien ziemlich schwer allen Seiten im Geiste ganz deutlich sehen und
lesbaren, philosophischen Buches von Hilde- sie durch Anhieb von allen Seiten zugleich so
brand. Wenn bisher ein Bildhauer sich für treffen könnte, daß sie alle nachher zu einer
seine Plastik ein Gerüst, das gewissermaßen Gesamtform richtig zusammenstimmen,
großzügig deren inneren Knochenbau darstellte, Man muß also von einer einzigen Seite an
anfertigte und mit Ton umgab, so schaffte er den Stein herangehen, und zwar wird man die-
dann die Formen des Werkes gewissermaßen jenige, möglichst glatte Fläche wählen, bei
von innen nach außen zu sich her in einen deren Bearbeitung man auf möglichst viele
äußerlich unbegrenzten Raum. Den beliebig Punkte der gesuchten Gestalt gleichzeitig stoßen
veränderlichen Raumkörper schuf er damit erst wird, auf das Knie, den Ellenbogen, den Kopf
selbst, diejenigen Formen, die er ihm nicht an- oder auf eine Hand. Michelangelo hat für
knetete, existierten einfach nicht und ihr Fehlen dieses seltsame Heraustauchen des Gegenstan-
zur räumlichen Einheit ließ sich auch durch des aus der Materie ein sehr gutes Beispiel
keinerlei Maßstäbe nachweisen. Ganz anders, gefunden: den Körper eines Badenden, der
wenn der Künstler dem unbehauenen Steinblock mit Wasser ganz bedeckt ist. Oeffnet man
gegenübertritt. In diesem Block sind nach den Ablaufhahn am Boden der Wanne, so wird
allen Seiten die räumlichen Grenzen unab- sich der Wasserspiegel überall ganz gleich-
änderlich gegeben und voll mit Materie an- mäßig senken, und in schichtweisen Etappen,
gefüllt. Man muß die in ihm enthaltenen Formen oft an mehreren Stellen zugleich, dann wie-
des künftigen Kunstwerkes von außen nach der nur an wenigen, wird der Körper trocken
innen herausarbeiten, alle Formen existieren in emportauchen; ähnlich so wird der Bildhauer
ihm und dasjenige Material, das nicht fort- eine Flächenschicht nach der anderen vom
genommen wird, bleibt als Form in seiner räum- Steine abmeißeln müssen, nur die heraus-
lichen Bedingtheit stehen. Also: beim Tonmodell tretenden Formen der künftigen Plastik stehen
entstehen die Formen durch An- und Umkneten lassend. Dieses später rundplastische Gebilde
nach außen; dagegen enthüllen sich die Formen denke man sich also in ungezählten Quer-
beim Steinblock erst durch äußerliches Weg- schnitten übereinandergeschichtet, die nach-
schlagen des überflüssigen Materials, wobei eine einander aus der sinkenden, weggemeißelten

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