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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — 6.1859

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8. Heft
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Restaurations-Mißgriffe: nebst einer Stimme aus Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.18469#0023

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1859. Hirckensckmuclr.

8. Hltt.

Nestliilratioiis - Mßgriffe.

Nebst einer

Stimme aus Frankreich.

Die Wiedererweckung des kirchlichen Styls
hat einen Gang eingeschlagen, in welchem sie
sich nicht mehr aufhalten läßt. Erst stng man
an, die längst nerachteten gothischen Schnörkel
als Curiosttäten anzusehen, dte doch nicht
ganz ohne Jnteresse wären; dann betrachtete
man sie mit immer steigender Bewunderung;
endlich fing man an sie zu studiren und sich j
an mehr oder weniger gelungene Nachahmung
zu wagen.

Die Nachahmung ging denselben Weg, wel-
chen die Anerkennung zuvor gegangen war:
zuerst kleckste man gothische Schnörkel an ir-
gend ein kirchliches oder profanes Gebäude,
hernach verband man Formen, aber ohne
Sinn und Construktion zu einem Ganzen;
endlich gelangte man zur Construktion und
selbst zur Symbolik.

Nichts könnte diesem Gang mehr schaden,
als die Eilfertigkeit, mit welchem er einge--
* schlagen wird. Die meisten Versuche von Neu-
bauten im altdeutschen Styl sind deßwegen
mißlungen, weil man sich die Aufgabe zu leicht
angesehen hat.

Die gothischen und romanischen Denkmäler
sind Werke etnerZeit, die, wenn man ihr auch
einen gewissen Schönheitssinn nicht absprechen
will, „doch eine barbarische, höchst unaufge-
klarte und in allen Stücken der unsrigen weit
nachstehende" ist.

Hat diese Meinung sür viele Vaumeister
die Stärke eines Glaubensatzes, so wäre
es entehrend, wenn der Künstler bei diesen
alten barbarischen Meistern in die Schule
gehen müßte. Daher sieht man stch die Sa-
chen blos ein wenig an und komponirt dann
auf Verlangen auch gothisch. Dabei hat man

Kirchmschmuck. 1859. Band VI.

Zeit und Mühe eines eindringenden Studiums
erspart und noch den Vortheil gewonnen, daß
man nicht in die Gesahr kommt, als bloßer
Nachahmer zu gelten und die Originalität set-
ner Werke angestrktten zu sehen.

Noch gefährlicher als für den Neubau ist
die eilfertige Vehandlung des mittelalterlichen
Styls für die Restauration der alten Bau-
werke. Wenn man einen Zirkel zu stellen und
Bögen zu ziehen vermag, so glaubt man sich
fähig, etwas Gothisches zu komponiren. Zum
Restauriren vollends hält gar Jeder sich tüch-
tig genug, obwohl in Wahrheit fast mehr
Studium und technische Tüchtigkeit dazu ge-
hört.

Die Restauration ist aber die wichtigste An-
gelegenheit unserer Tage, denn ste soll das
Werthvolle erhalten und zugleich den Bau-
künstlern die beste Gelegenheit bieten, um die
alte Bauregel immer besser kennen zu lernen.

Daher darf man der Art, wie hie und da
restaurirt wird, wohl ein aufmerksames Auge
zuwenden. Etne schlecht verstandene Restau-
ration schadet viel mehr als ein mißlungener
Neubau.

Jn Frankreich, dessen Boden so reich ist an
Denkmalen der mittelalterlichen Baukunst, hat
die Regierung diese wichtige Sache mit unge-
wöhnlicher Energie in die Hand genommen.
Das System der Centralisation hat es ihr
möglich gemacht, der Erforschung und Aus-
besserung der alten Gebäude eine glänzende
Organisation zu geben und Summen dafür zu
verwenden, welche ihr den Ruhm höchfter Li-
beralität, Kunstliebe und Wissenschaftlichkeit
verschafft haben.

Dte berühmtesten Dome werden restaurirt,
daneben auch kleinere Kirchen und Kapellen,
Spezial-Comitö's arbeiten in den Ministerien,
von der Regierung angestellte Architekten be-
reisen das Land, mit Vollmachten ausgerüstet,

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