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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — 6.1859

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8. Heft
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Gebrauch der gothischen Schrift
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Sighart, Joachim: Gestickte Kopfkissen
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https://doi.org/10.11588/diglit.18469#0029

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23

schen) Charakter, der durch ganze vier Jahr-
hunderte bei ihr im Gebrauch gewesen war.
Es kostete ihr viel Ueberwindung zu einer
Schrift überzugehen, deren Gebrauch den neuew
Büchern die Familien-Aehnlichkeit mit den
Manuscripten nehmen mußte, aus denen sie
geflossen waren. Der Uebergang geschah deß-
halb nur allmälig; man konnte Missalien und
Breviere sehen, deren Titelblatt in römischer
Schrift gedruckt war, während sonst das ganze
Werk nur den gothischen Charakter zeigte;
auf der andern Seite gab es aber auch Drucke,
deren Tert mit römischen Schriftzeichen ge-
druckt war, währeud das Gothische nur mehr
auf dem Titelblatte erschien — gleichsam ein
letzter Abschiedsgruß an das Mittelalter. Der
Umschwung vom Gothischen zum Römischen
vollendete sich mit dem Schlusse des 16. Jahr-
hunderts, und es ist bemerkenswerth, daß das
letzte Buch, welches zu Paris in gothischer
Schrisr erschien, ein liturgitches war, das Tla-
nuUs Laooräotum, gedruckt bei Kerver 3.. 15?4.
Jm solgenden Jahr erschien zu Venedig die
letzte Ausgabe des Römischen Missale mit
gothischen Charakteren. (Nach CueruuZ'er,
1u8tituUou8 1itur§igU68. Uuri8 1651, tom.
III, x.339. 40.

Gestickte Kopslussen.

Ein Freund der mittelalterlichen Kunft in
München (vr.Posselt) besitzr zwei K>ssenüber-
züge, welche ganz mit Slickereien angefüllt
sind. Da solche Kissen wohl zu den Selten-
heiten gehören und doch so sinnig und zierlich
sind, erlaube ich mir eine kurze Schilderung
derselben mitzutheilen.

Das größere Kissen (P 3" lang und breit)
zerfällt in zwei Theile, deren jeder mit Linien
und Sternblumen umsäumt ist, während das
Jnnere durch figurirte Scenen ausgefüllt wird,
die sich aneinander reihen. Was d>e technische
Ausführung betrifft, so ist der Fond im Zopf-
stich von grüner Seide gebildet. Die Figuren
und Ornamente bleiben weiß, indem die Lein-

wand hier freigelassen ist, nur die Umrisse der
Figuren, Falten und Schatten sind mit rother
Seide im Steppstich ausgeführt. Nun zur
Bedeutung dieser Stickereien.

Alle Bilder stellen Scenen aus dem Leben
des ägyptischen Joseph vor. Zuerst sehen wir
ihn vor seinen Eltern, denen er seinen Traum
erzählt, wie sich Sonne, Mond und Sterne
vor ihm gebeugt. Man erblickt auch diese Ge-
stirne am Himmel oberhalb der Scene ange-
bracht. Seine Brüder stehen staunend und
entrüstet hinter den sitzenden Eltern.

Die zweite Scene ist ähnlich der ersten, Jo-
seph, seine Eltern und Brüder erscheinen wie-
der, nur daß oberhalb Garbenbüschel sichtbar
sind. Joseph erzählt also hier seiner Familie
den Traum, wie Aller Garben vor ihm sich
geneigt.

Am dritten Bilde schickeu die Eltern den
kleinen Joseph fort mit Brod und Getränken,
auf daß er sie den Brüdern brächte.

Sofort sehen wir, wie Joseph von den Brü-
dern in die Cisterne geworfen wnd, weiter
wie er an die mit Pferden daher ziehenden
Kinder Jsmaels verkauft wird, endlich wie ihn
Putiphars Weib zur Sünde verleiten will, er
aber entflieht mit erhobenen Händen.

Das zweite Kissen ist um die Hälfte kleiner
und scheint auch schon einmal beschnitten wor-
den zu seyn. Doch sind die Darstellungen
noch alle erkennbar.

Das erste Bild zeigt den Joseph mit seinen
Leidensgefährten im Gesängniß, dann sehcn
wir ihn stehen vor Pharao, indem er ihm den
Traum von den Aehren und den Kühen deulet.
Oberhalb sehen wir diese Aehren stehen und
die vierzehn Kühe sich ancinander drängen.

Die untern zwei Darstellungen sind Wie-
derholungen, es folgt wieder der Verkaus Jo-
sephs und Putiphars Weib. Wahrscheinlich
war der erste Zeichner oder Sticker mit sciner
Arbeit nicht zu Ende gekommen, man ver-
mochte die folgenden Scenen un Leben Jo-
sephs nlcht mehr zu componiren und sah sich
genöthigt, die schon vorhandenen Bilder zu
kopiren.
 
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