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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 2
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0101

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die für einen Freund, einen Irrenarzt gemalt wurden —
oder der Negerkopf an Ribera und Zurbaran; doch zu-
gleich bringen sie Einem den Namen Courbet auf die
Lippen. Die abgeschnittenen Haupter, oder der Kopf
eines Schimmels lassen an Delacroix denken; neben
Studien, die noch auf Ingres und Poud'hon zurück-
weisen und ornamentale Stillinien suchen, fällt der Blick
auf ein Werk wie „la folle", worin das ganze psycholo-
gische Streben der Folgezeit mit genialem Gelingen
vorweggenommen worden ist, worin der Jüngling neben
Franz Hals tritt, Daumier besiegt, bevor dieser recht zu
malen begonnen und den malerischen Eindruck in einer
Weise dramatisch macht, wie es bis heute kaum wieder
gelungen ist. Man denkt zugleich an Namen wie David
und Poussin, wie Rubens und Marees, sieht einen Bild-
hauer, Zeichner und Monumentalisten, und auch einen
Maler, bei dem die abgeschilderte Natur wie von einer
feinen Haut des Lebens überzogen erscheint; man lernt
einen Landschafter kennen, einen Pferdemaler, einen
Porträtisten und einen heroischen Kompositeur: alle
Kräfte einer reich sich entfaltenden Zeit künden sich in
diesem mächtig erregten Willen an. Die Selbstverständ-
lichkeit dieses heroischen Universalismus, das Sturmes-
wehen dieser Energie sind heute, wo es fast nur Theater-
stürme in der Kunst giebt, kaum noch vorstellbar.

Und doch ist etwas Sprödes in Gericault, etwas von
vornherein Fragmentarisches. Wie ein mächtiger Torso,
über den der Schöpfer weggestorben ist, liegt sein Werk
an der Pforte des Jahrhunderts. Es ist unmöglich sich
zu denken, wie dieses Fragment hätte vollendet und in
der Vollendung gesteigert werden können. Vor Ge-
ricaults bisher bekanntem Lebenswerk denkt man an
Goethes tiefes Wort: „Man stirbt nur, wenn man will".
Man giebt darum Meier-Graefe recht, der sein Vorwort,
das er dem Katalog bei Gurlitt geschrieben hat, so
schliesst: „Kam das Ende zu früh für seine Kunst?
Trotz der ungeheuren Kraft, die, scheint es, abbrach,
ohne das vollkommen adäquate Feld der Thätigkeit ge-
funden zu haben, bleibt die Frage offen. Fast könnte
man meinen, dass zu dem Bilde seines Schaffens die
meteorartige Existenz des Menschen gehört."

Wenn Gericault wie ein junger Riese von unten
heraufstürmt, so blickt Cezanne von oben herab, von
einem Gipfel, zu dem die Arbeit dreier Geschlechter
ihm Stufen geschlagen hat. Wollte man ihn als Indivi-
dualität mit Gericault vergleichen, so müsste man das
Unfertige und Problematische bei ihm, dem Schweig-
samen, Zurückgezogenen aus der Bürgerzeit der dritten
Republik Stichen und das Spiel freier Grazie bei dem
feurigen, herrlich begnadeten Jüngling, der das erste
Kaiserreich erlebte. Aber es geht nicht an, Resultate
der Kunst nur aus individueller Eigenart zu erklären;
zur Hälfte wenigstens ist jedes Talent ein Instrument
der Tradition und um so mehr, je reicher die Tradition
ihn, macht. Cezanne ist nicht nur der fast philisteihaft
bürgerlich anmutende Südfranzose, der Bankbeamter

gewesen war, bevor er zur Kunst kam; er ist auch ein
Produkt der Entwickelung ohne es selbst zu wissen.
Was er als seinen persönlichen, ganz eigenartigen Trieb
empfinden mochte, ist zum guten Teil das Resultat einer
Anstrengung, die durch das ganze Jahrhundert geht und
die in ihm schon Züge femininer Überreife anzunehmen
beginnt. Als Mensch mag Gericault ein klarer Wille
und Cezanne mehr Instinktmensch, mehr ein Primitiver,
jener mag genialisch aus Talentfülle, und dieser, nach
einem Wort Liebermanns, ein Genie ohne Talent ge-
wesen sein: de facto ist in den Werken Cezannes eine
Reife und darum auch eine Leichtigkeit, die ein Künstler
zur Zeit Gericaults unter keinen Umständen hätte er-
werben können. KeinerGestaltgleichtCezanne in seinem
allgemeinen Wesen vielleicht weniger als der vornehm
schlanken Figur eines Watteau; die blosse Gegenüber-
stellung erregt Lächeln. Und doch sind in seinen Zeich-
nungen, die der Salon Cassirer ausgestellt hat, ent-
schieden watteauhafte Züge. Das Weiche, zärtlich
Lyrische des Provenzalen, den man sich durchaus falsch
als einen revolutionssüchtigenBerserker vorstellt, kommt
in diesen aquarellierten Landschaftszeichnungen zum
Ausdruck. Schon in Manet ist ein gewisser, unbeschreib-
lich saftvoll zärtlicher Feminismus, wie ihn die Malerei
nur in Reifestadien zeigt; vor diesen Zeichnungen Ce-
zannes aber könnte man schon von einer Süsse reden,
wenn die Qualität der Arbeiten solch entwertendes
Wort gestattete.

Dieselben vier oder fünf Farben kehren überall in
diesen Aquarellen wieder. Also Palettenkolorismus.
Als Zeichner ist Cezanne noch mehr Systematiker als
Maler. Aber das gerade giebt seiner Graphik — die
so recht eine Kunst für lebendige Schematisierung ist —,
den Schein der inneren Notwendigkeit. Er braucht
nicht täuschende Naturfarben, sondern nur ein paar ge-
tönte Valeurs, um das Leben im Raum darstellen zu
können. Wo ihm dieses gelingt, da geben die wenigen
spröden Porzellantöne in Verbindung mit dem Weiss
des Papiers, immer eine höhere Naturwahrheit; freilich,
wo die Kraft der Anschauung unterliegt, da herrscht
dann auch gleich das tote System. Erstaunlich ist Ce-
zannes Fähigkeit, mit einem Nichts an Mitteln ein
lebendiges Ganzes zu geben, die psychologisch tief gra-
bende Impression mit frauenhafter Grazie ornamental
zu erklären, aus Schlagschatten allein Raumbilder auf-
zubauen, mit dem Weiss des Papiers zu malen, so
dass es alles ist, was der Zeichner will: Himmel, Wasser,
Licht, Luft oder Sonne — vor allem Sonne! — das Ein-
fache oder das Vielfache, und an Prägnanz des Aus-
druckes ein vollkommener Japaner zu sein, ohne einen
Augenblick aus den Grenzen der nationalen französi-
schen Kunst herauszutreten. Was Rodins kostbare Zeich-
nungen für den menschlichen Körper sind, das ist die
zart gehauchte Aquarellgraphik Cezannes für die Land-
schaft. Hinter den seidenweich hingetuschten Land-
schaftsmotiven breitet sich eine Welt der Romantik aus;

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