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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 3
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Gauguin, Paul: Noa-Noa, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0140

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mich. Hatte sie denn Verständnis für das Schöne?
Was aber würden die Professoren der Akademie der
Schönen Künste dazu sagen?

Nach einem fühlbaren Schweigen, wie es einer
Gedankenfolgerung vorauszugehen pflegt, fügte sie
plötzlich hinzu:

— Ist das deine Frau? — Ja.

Ich scheute diese Lüge nicht. Ich, der Tane der
schönen Olympia!

Während sie neugierig einige religiöse Komposi-
tionen der italienischen Primitiven prüfte, begann ich
eilig, ohne daß sie es sah, ihr Porträt zu skizzieren.

Sie merkte es plötzlich, rief schmollend — Aita!
(Nein) und lief davon.

EineStunde später war sie in einem schönenKleid,die
Tiare hinterm Ohr, wieder da. — Geschah es aus Ko-
ketterie? aus Freude, nach der Weigerung freiwillig
nachzugeben? Oder war es einfach das Lockende der
verbotenen Frucht, die man sich selber verwehrt?
Oder noch einfacher vielleicht bloße Laune, ohne jeden
andern Beweggrund, wie die Maories sie gewohnt sind?

Ohne Zögern machte ich mich an die Arbeit, ohne
Zögern und fieberhaft. Ich war mir bewußt, daß
von meiner Leistung als Maler die physische und mo-
ralische Ergebenheit des Modells, eine rasche, still-
schweigende, unweigerliche Einwilligung abhing.

Nach unsernRegeln der Ästhetik war sie wenigschön.

Aber sie war schön.

Ihre Züge waren von einer raffaelischen Harmonie,
und den Mund hatte ein Bildhauer modelliert, der es
versteht in eine einzige bewegliche Linie alle Freude
und alles Leid zu legen.

Ich arbeitete hastig und leidenschaftlich, denn ich
wußte wohl, daß auf die Zustimmung noch nicht zu
rechnen war. Ich zitterte davor in diesen großen
Augen Furcht zu lesen und Verlangen nach dem Un-
bekannten, die Melancholie bitterer Erfahrung, die
jeder Lust zugrunde liegt, wie das unfreiwillige,
souveräne Gefühl der Selbstbeherrschung, Solche
Geschöpfe scheinen uns zu unterliegen, wenn sie sich
uns geben und unterliegen doch nur ihrem eigenen
Willen. Sie beherrscht eine Kraft, die etwas Über-
menschliches hat — oder vielleicht etwas göttlich
Animalisches.

*

Jetzt arbeitete ich freier, besser.

Aber meine Einsamkeit quälte mich. Ich sah in dieser
Gegend zwar junge Frauen und Mädchen mit ruhigem
Blick, echte Tahitianerinnen, und einige darunter hätten
vielleicht gern das Leben mit mir geteilt. — Aber ich

wagte nicht sie anzureden. Sie schüchterten mich wirk-
lich ein mit ihrem sicheren Blick, der Würde ihrer
Haltung und den stolzen Gebärden.

Dennoch wollen alle „genommen", buchstäblich bru-
tal genommen sein, (maü, ergreifen) ohne ein Wort.
Alle haben den geheimenWunsch nach Vergewaltigung:
weil durch diesen Akt männlicher Autorität der Weib-
wille seine volle Unverantwortlichkeit behält — denn
so hat es ja nicht seine Einwilligung zum Beginn einer
dauernden Liebe gegeben. Möglich, daß dieser erst so
empörenden Gewalt ein tiefer Sinn zugrunde liegt,
möglich auch, daß sie ihren wilden Reiz hat. Ich
dachte wohl daran, aber ich wagte es nicht.

Und dann hielt man mehrere von ihnen für krank,
von jener Krankheit befallen, die den Wilden als
erste Stufe des Kulturlebens von den Europäern ge-
bracht wird . . .

Und wenn die Alten, auf eine von ihnen weisend,
zu mir sagten:

— Maü tera (nimm diese), hatte ich weder die not-
wendige Kühnheit noch Vertrauen. Ich ließ Titisagen,
daß ich sie mit Vergnügen wieder aufnehmen wolle.

Sie kam sogleich.

Der Versuch mißglückte, und an der Langeweile,
die ich in der Gesellschaft dieser an den banalen
Luxus der Beamten gewöhnten Frau empfand, konnte
ich ermessen, welche Fortschritte ich bereits in dem
schönen Leben der Wilden gemacht hatte.

Nach Verlauf einiger Wochen schieden Titi und
ich für immer von einander.

Ich war wieder allein.

*

Ich war seit einiger Zeit mißmutig geworden.
Meine Arbeit litt darunter. Zwar fehlten mir viele
wesentliche Hilfsmittel, es verstimmte mich, künstle-
rischen Aufgaben, die mich berauschten, machtlos
gegenüber zu stehen, aber hauptsächlich fehlte mir die
Lust.

Seit mehreren Monaten war ich von Titi getrennt,
hatte seit Monaten nicht mehr ihr übermütig kind-
liches, zwitscherndes Geplauder über dieselben Dinge
und dieselben Fragen gehört, auf die ich immer mit
denselben Geschichten antwortete.

Und diese Stille tat mir nicht gut. Ich beschloß
fortzugehen, eine Fahrt um die Insel zu machen, für
die ich kein bestimmtes Ziel festsetzte.

Während ich meine Vorbereitungen traf — ein
paar leichte Pakete für die Bedürfnisse der Reise —
und meine Studien ordnete, schaute mein Nachbar
und Freund Anani mir beunruhigt zu. Nach langem

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