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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 3
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0144

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Landschaften mit Tieren. Beides: Tier und „Natur-
milieu" wird gleichmässig berücksichtigt und so verdirbt
das eine Motiv dem andern immer die Wirkung. Man
preist die Beobachtung: das Meiste ist aber Arrangement.
Die fliegenden Adler und Gänse sind in der Bewegung
erstarrt; sie sehen gekodakt aus, oder als wären ausge-
stopfte Exemplare als Vorbilder ins Pleinair der Land-
schaft gehängt worden. So wird es auch wohl sein. Auf
den Jagdliebhaber wirkt Liljefors Motivenwahl, auf den
Naturfreund seine Tierliebe und auf den Kritiker der
aus Frankreich oder Japan stammende dekorative
Trick. Die Behauptung lautet: herrliche Kunst; der
Beweis: denn das Tier ist hier endlich einmal mir,
den „Augen des Jägers" gesehen worden. Ich meine
es solle mit Maleraugen gesehen werden. Meerbilder
lassen wir doch auch von Kapitänen nicht malen. „Ja",
erwidert man, „aber dieserjäger ist zugleich ein Maler".
In diesem „zugleich" liegt die unsterbliche Dummheit. Es
hat aus demjäger undTiermalerRayski ebenso einsteinen
äusserst sympathischen Dilettanten gemacht wie nun aus
Liljefors. In dessen Arbeiten sind gewiss viele sehr wert-
volle, illustrative Züge, aber an Rubens oder Snyders
Tierstiicke, an Courbets Rehe oder an Utamaros und
Hokusais Tierzeichnungen darf man nicht einmal denken.
In einer Ausstellung bei Paul Cassirer trat Hodler
Einem menschlich näher. Man konnte sehen, auf wel-
chen Wegen dieser monumentale Kartonkünstler zu
seinen freskohaften Abstraktionen gekommen ist. Dieser
scheinbar Starre erweist sich in seinen Frühwerken als
eine sehr resonanzfähige Natur, die lange gesucht hat,
bis sie ihre Eigenart fand. Das „Mädchen mit Nelke"
hat in seiner einfach weichen Art der Lebensreduzierung
modern französische Züge; in dem Bild „Mann und
Kind" ist mit glücklichem Gelingen im Kleinen durch-
aus malerisch ausgedrückt, was E. von Gebhard sich ein
Leben lang im Grossen vergebens zu erreichen mühte;
und in dem mit bedeutendem Können durchmodellierten
Frauenkörper auf dem Bild „Sehnsucht nach dem Un-
sterblichen" scheint der kalte aber charaktervolle Geist
Klingers lebendig geworden. Das interessanteste Bild
der Ausstellung war eine grosse Winterlandschafr, die
schon vor zehn oder fünfzehn Jahren in der Schweiz
berühmt gewesen ist. Es ist Hodler mit diesem Bild
gelungen, glaubwürdig Gebirgsstimmung zu geben,
was so Vielen schon, selbst einem Segantini, missglückt
ist, weil fast immer versucht wird Das darzustellen, was
allein durch die machtvolle Quantität wirken kann, also
nur in der Natur. Merkwürdige Berührungspunkte mit
dem Stil dieses Bildes waren in einigen hübschen hol-
ländischen Landschaften Walsers zu entdecken, die sich
in derselben Ausstellung befanden. Die neueren
schweizer Künstler sind im Stilgefühl durchaus ver-
wandt, wie sie örtlich auch auseinandergerissen werden,
und es scheint, als entstände in diesem isolierten und
doch allen Einflüssen offenen Land in aller Stille ein
neues Zentrum der modernen Malerei. —

Ein sehr wichtiges Ereignis ist die Ausstellung
von Werken Delacroix bei Cassirer. Dieser Künstler,
dessen Rolle in der Entwickelungsgeschichte der fran-
zösischen Malerei nicht leicht überschätzt werden kann,
war bisher kaum recht bekannt. Selbst der Besucher
des Louvre lernt ihn nur teilweise kennen. So deckt
diese Ausstellung endlich einmal ein lebendiges Be-
dürfnis. Schade, dass sie örtlich nicht der Gericault-
ausstellung bei Gurlitt angegliedert worden ist. Nichts
hätte interessanter sein können, als diese Brüder-
geister nebeneinander zu betrachten. Gericault ist
der Gesammeltere; Delacroix der Beweglichere. Er
wirkt in dieser Ausstellung dichterisch, romantisch,
lyrisch und hier und da fast literarisch. Bei aller könig-
lichen Souveränität ist etwas Hastiges, Gequältes und
Zerfahrenes in diesem Genialen. Dann aber auch wieder
ein zuckender Reichtum, der achtlos helle Lichter nach
allen Seiten wirft und sie zünden lässt, wie sie wollen
und können. Mit einer Notiz ist diese Fülle nicht ein-
mal anzudeuten. Wir werden in einem der nächsten
Hefte einen besonderen Essay über Delacroix bringen.

«•

Bei Schulte konnte man sich eines halben Hunderts
schöner französischer Bilder aus der Sammlung Alex.
Young erfreuen. Welch herzlich überzeugende Intimi-
tät ist doch in den Bildern dieser Barbizonleute! Wie
gut passen sie in jedes Interieur und wie getreulich ist
die anspruchsloseste Alltagsnatur im ewig festlichen,
kosmischen Schöpfungsduft wiedergegeben! Von Corot
sah man eine Anzahl entzückender Landschaftsgedichte.
Von Millet war die in weiche Monumentalität gekleidete
Gestalt einer Wäscherin da , von Daubigny gab es viele
Proben einer still edlen, niederländisch ernsten Land-
schaftskunst und schöne Werke sah man auch von Mon-
ticelli, J. Maris, J. Israels und Anderen.

Auch Bilder von Steinlen waren ausgestellt. Der
Maler stellt sich darin durchaus als Illustrator vor. Und
das ist unerquicklich, weil der Betrachter so eine Ver-
wechslung der Kunstmittel erlebt.

*

Ein bedeutender Teil des Lebenswerkes von Trüb-
ner ist bei Gurlitt ausgestellt. Auch in dieser Kollektiv-
ausstellung spürt man, wie im Sommer vor Liebermanns
Werken in der Sezession, die Stimmung eines bereits
geschichtlich werdenden Kunstgeistes. Es wird von
dieser Veranstaltung noch zu sprechen sein.

*

Im Herbstsalon 1908 wird eine Sonderausstellung
deutscher Kunst zu sehen sein. Auf die Einladung des
Pariser Vorstandes hin hat sich ein deutsches Komitee


 
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