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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 4
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Gauguin, Paul: Noa-Noa, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0178

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Ich stieg vom Pferde, und wir traten alle sechs in
eine große, sauber gehaltene, beinahe reiche, mit
hübschen Matten ausgestattete Hütte.

Ein noch junges und außerordentlich liebens-
würdiges Paar bewohnte sie. Meine Braut setzte
sich neben die Frau und stellte mich vor.

— Dies ist meine Mutter, sagte sie.

Dann wurde schweigend ein Becher mit frischem
Wasser gefüllt, von dem wir alle der Reihe nach feier-
lich tranken, als handele es sich um einen alten frommen
Brauch.

Hieraufsagte die eben von meiner Braut als ihre
Mutter bezeichnete Frau mit gerührtem Blick und
feuchten Wimpern zu mir:

— Du bist gut?

Nicht ohne Verwirrung antwortete ich nach einer
Prüfung meines Gewissens:

— Ich hoffe es.

— Wirst du meine Tochter glücklich machen?

-Ja-

— In acht Tagen muß sie wiederkommen. Wenn

sie nicht glücklich ist, wird sie dich verlassen.

Ich willigte mit einer Gebärde ein. Allgemeines
Schweigen. Niemand schien eine Unterbrechung zu
wagen.

Endlich gingen wir hinaus, ich bestieg wieder mein
Pferd und brach, immer von meinem Gefolge geleitet,
von neuem auf.

Unterwegs begegneten wir mehreren Personen, die
meine Familie kannten. Sie waren bereits von dem
Ereignis unterrichtet und sagten, als sie das Mädchen
begrüßten:

— Bist du jetzt wirklich die Vahina eines Franzosen?
Viel Glück!

Ein Punkt beunruhigte mich. Wie kam Tehura (so
hieß meine Frau) zu zwei Müttern?

Ich fragte die erste, die sie mir angeboten hatte:

— Warum hast du gelogen?
Die Mutter Tehuras antwortete:

— Ich habe nicht gelogen. Die Andere ist auch
ihre Mutter, sie ist ihre Amme.

Wichtige Familienangelegenheiten riefen mich
zurück.

Lebe wohl, gastfreies Land, küstliches Land, Heimat
der Freiheit und der Schönheit!

Zwei Jahre älter geworden und um zwanzig Jahre
verjüngt gehe ich fort, verwilderter als ich ge-
kommen war und doch gescheiter.

Die Wilden, diese Unwissenden, haben den alten
Kulturmenschen vieles gelehrt, vieles in der Kunst zu
leben und glücklich zu sein. Vor allem haben sie
mich gelehrt mich selber besser zu kennen, ich habe
von ihnen nur tiefste Wahrheit gehört.

War das dein Mysterium, du geheimnisvolle Welt?
Du hast mir Licht gebracht, und ich bin gewachsen
in der Bewunderung deiner antiken Schönheit, der un-
vergänglichen Jugend der Natur.

Das Verständnis und die Liebe zu der Seele deiner
Menschen, zu dieser Blume, die aufhört zu blühen,
und deren Duft niemand mehr einatmen wird, hat
mich besser gemacht.

*

Als ich den Quai verließ, um an Bord zu gehen,
sah ich Tehura zum letztenmal.

Sie hatte Nächte hindurch geweint, jetzt saß sie er-
schöpft und traurig, aber ruhig mit herabhängenden
Beinen auf einem Stein, und ihre starken, festen Füße
berührten das schmutzige Wasser.

Die Blume, die sie am Morgen hinters Ohr ge-
steckt hatte, war welk auf ihre Knie herabgefallen.

Hier und dort starrten Andere, wie sie, matt,
schweigend, düster, gedankenlos auf den dichten
Qualm des Schiffes, das uns alle für immer weit fort
tragen sollte.

Und von der Schiffsbrücke aus glaubten wir,
während wir uns immer weiter entfernten, mit dem
Fernglas auf ihren Lippen noch lange jene alten
maorischen Verse zu lesen:

Ihr leisen Winde von Süd und Ost,

Die ein zärtlich Spiel über meinem Haupte ver-
eint,

Eilt schnell zur nächsten Insel hin.

Dort findet ihr im Schatten seines Lieblingsbaumes

Ihn, der mich verlassen hat.

Sagt ihm, daß ihr in Tränen mich gesehn.

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