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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 6
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Friedländer, Max J.: Die Engländer in der Berliner Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0235

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Morgan sind beteilige. Die grossen Londoner
Kunsthändler — Thom. Agnew & Sons, P. 6c 1).
Colnaghi, Sulley, Asher Wertheimer — haben be-
deutende Gemälde geschickt, das Beste und Meiste
Charles Wertheimer, der übrigens nicht eigentlich
1 laudier ist. Endlich relativ bescheidene Beiträge
aus deutschem Besitze.

Die Bilder sind vortrefflich geordnet und in
beträchtlichen Abständen zu ruhiger Wirkung an-
einander gereiht.

Der erste wohlige und vornehme Eindruck
scheint mehr von den Porträtierten als von der
Porträtkunst zu kommen. Der Besucher wird von
der besten Gesellschaft freundlich empfangen, von
gesunden Kindern, die zu ahnen scheinen, wie gut
ihnen die Unschuld steht, von wohl erzogenen
Knaben, stattlichen Herrn und schönen Damen.
Familienglück auf des Lebens Höhen begrüsst ihn,
ein wenig Pose und ein wenig Theater, aber nicht
mehr davon, als die gute Gesellschaft fordert und
erlaubt.

Die britische Malkunst erblühte spät. Gesäet
haben auf englischem Boden fremde Meister, vor
allen van Dyck. Die Saat ging auf in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Der älteste englische Maler, Hogarth, fehlte auf
der Ausstellung. Er hätte einen derberen Ton
hinzugebracht, die Harmonie freilich ein wenig
gestört. Turner ist nicht recht repräsentiert. Con-
stable tritt scheinbar glänzend auf mit zwei be-
deutenden Kompositionen, dabei dem berühmten
„leapinghorse" aus der Londoner Academy. Er wird
bekanntlich zu den Anregern der modernen Land-
schaftsmalerei gezählt. Die Menge schlichter und
frischer Naturstudien, die Constable geschaffen hat,
und von denen viele auf dem Kontinent gezeigt
worden sind, hat das Urteil bestimmt. Die „Haupt-
werke" dieses Malers, anspruchsvolle Kompositio-
nen, wie die hier ausgestellten, veranlassen eine
Revision und Ergänzung der Meinung. Vor lauter
Malerei sieht man die Landschaft nicht. Statt eines
Natureindrucks hundert „malerische" Motive, die
sich gegenseitig stören. Und ein genialischer Vor-
trag, der mehr als Zweck denn als Mittel zum
Zweck erscheint.

Die britische Gesellschaft — auf dem Kontinente
gab es im 18. Jahrhundert keine Gesellschaft, in
Frankreich keine Gesellschaft, wenn auch einen
Hof — wurde von sechs Malern porträtiert, von
Sir Joshua Reynolds, Thomas Gainsborough, George
Romney, Sir Henry Raeburn, John Hoppner, Sir

Thomas Lawrence (die Namen stehen hier in der
Folge der Geburtsdaten). Sie alle sind auf der Aus-
stellung glänzend vertreten, jeder mit mehreren
Meisterwerken; am reichsten natürlich Reynolds,
der erstaunlich fruchtbar war, überraschend gut
Gainsborough (nur über den Zustand einiger
seiner Hauptstücke wäre eine Anmerkung zu
machen).

Hoppner ist nur ein erfolgreicher Nachahmer Sir
Joshuas, wie hoch auch seine Bildnisse im Handel
bewertet werden. Auch seine besten Leistungen,
wie hier die in rote Pracht getauchte Lady Louisa
Manners (Charles Wertheimer), zeigen keine aus-
geprägte Eigenart. Romney ist eher eine Persön-
lichkeit. Sein klassizistischer Geschmack, der zu
koketter Dürftigkeit in Malweise und Kolorit und
zu einer merkwürdig leeren Form führte, hebt sich
deutlich heraus. Die etwas blutleeren blonden
Schönheiten sind reliefartig posiert und auf an-
tikische Würde mit bewunderswerter Sicherheit
stilisiert. Winckelmanns Ideale, versüsst und der
britischen Gesellschaft verständlich gemacht.

Lawrence setzt die Tradition Sir Joshuas fort,
ins 19. Jahrhundert. Seine früheren Schöpfungen,
mit gefallsüchtiger Bravour gemalt, stehen den
Werken seines grossen Lehrers kaum nach, wie
hier die berühmte Miss Farren, die Pierpont
Morgan um schweres Geld erworben hat. Ein
Beispiel seines späteren und schlechteren Stils ist
das Kinderbildnis der Countess of Jersey (Ch. Wert-
heimer), schwer erträglich in seiner „holden"
Glätte und Zugänglichkeit.

Raeburn steht für sich. Er ist relativ ernst und
männlich,. Es giebt einen Standpunkt, von dem
aus dieser Schotte die englischen Meister zu über-
ragen scheint. Er ist ein besserer Porträtist als alle
Zeitgenossen. Seine Menschen sind eindringlich ge-
schildert, ihre Individualität in Haltung und Antlitz
ist mit scharfen, wenn auch gütigen Augen be-
obachtet. Seine Zeichnung ist meisterhaft und
tadelfrei, seine Malart solid und sicher. Seine
guten Bilder, wie die Gruppe der drei Kinder El-
phinstone (Ch. Wertheimer), Lady Maitland (Pier-
pont Morgan) und mehrere andere auf der Aus-
stellung haben, abgesehen von der überzeugenden
Individualisierung, Leuchtkraft und Lebendigkeit
genug. Spätere Arbeiten von ihm, auf der Aus-
stellung etwa die Nrn. 31, 36, sind bleiern und
reizlos, in der Farbe. Immer ist Raeburn etwas
amusisf... und geht ganz im Porträtistenmetier
auf.

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