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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 10
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Koetschau, Karl: Die grosse Kunstausstellung in Dresden
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0417

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wie

Kunstgewerbes, die trotz ihrer Fremdartigkeit wäh-
rend der Ausstellung immer mehr mit deren Orga-
nismus verschmolz.

Wenn ich als Historiker behaupte, dass die
Kenntnis der alten Kunst für eine gerechte Bewer-
tung der gegenwärtigen die zuverlässigste Grund-
lage bietet — wie ja auch die politischen Ereignisse
unserer Zeit am besten Der beurteilen wird, der sie
aus einer reifen Kenntnis der Geschichte heraus
betrachtet —, so weiss ich wohl
mich damit einem Miss-
verständnis aussetzen
kann. Indessen, diese
Anschauung ist mein
Glaube.

Es muss zugegeben
werden, dass eine ge-
wisse Gefahr in dem
Nebeneinander alter und
neuer Kunst besteht.
Denn die Schwachen
und Schwankenden wird
vielleicht das Erbe der
Vergangenheit, über das
ihnen das Urteil ge-
sichert und unverrück-
bar zu sein scheint, ganz
von der Kunst unserer
Zeit abziehen, da sie nur
zu willig einer Ausein-
andersetzung mit sich
selbst ausweichen und
den Vergleich bedin-
gungslos auffassen wer-
den, während er doch
wie jeder andere nur

eine relative Berechtigung hat. Wo die Aus-
drucksmittel so ganz verschieden von den unsrigen
waren, der Entwicklungsgang der Künstler ein
so ganz anderer als heutzutage, die Zeit einen so viel

ehrlich, echt sein und eine Sprache reden, die immer
verstanden und mehr noch, immer nachempfunden
werden kann. Für uns aber ergiebt sich hieraus, dass
wir uns bei der Vielgestaltigkeit unserer Kultur
nicht auf eine der vielen Richtungen, die das Kunst-
schaffen unserer Tage so verwickelt erscheinen
lassen, einschwören dürfen, sondern allen ge-
recht zu werden versuchen müssen. Schneller, als
man vielleicht zunächst annehmen möchte, wird
leicht ich sich dann die Spreu von dem Weizen, die Mache

von der Echtheit son-
dern lassen. Notwendig
ist dazu, dass wir über
die Frage der Ausdrucks-
mittel, die die Köpfe so
sehr zu erhitzen pflegt,
zu einer Anschauung uns
hindurchringen, die über
diese Äusserlichkeiten
hinweg und empor auf
das Wesentliche geht.
Es liegt mir ganz fern,
damit eine Missachtung
der Technik auszuspre-
chen, der ich von jeher
volle Aufmerksamkeit
geschenkt habe. Aber
ich halte es für falsch,
wozu gerade die Künst-
ler neigen, nur auf sie
allein zu achten. Sie ist
immer nur Mittel, nie
Zweck. Über der Art
und Weise, wie der
Künstler zu uns spricht,
steht für mich Das, was
er bei seiner Schöpfung erlebt. Alle Kunst, nicht
nur die bildende und die redende, muss Phan-
tasiegestaltung sein. Die Art der Phantasie also
kennen zu lernen, ist mein letztes Ziel der Kunst-

LEOl\ VON KALCKREUTH, KNABENBILDNIS

geringeren Wert besass, die Absatzbedingungen betrachtung. Allerdings wird meine Bewunderung
so weit von den heutigen abwichen, wäre es un- eines Künstlers um so grösser sein, je mehr ich ihn
billig, gleiche Wirkungen hüben wie drüben zu im uneingeschränkten Besitz seiner Ausdrucksmittel,
fordern. Was wir aus der Betrachtung der alten in der wohl befestigten Herrschaft des seiner Kunst-
Kunst lernen sollen, ist vielmehr das: jedes Kunst- art eigentümlichen Materials sehe, weil er nur dann
werk erfüllt die einzige Forderung, die man daran restlos zur Darstellung bringen kann, was in seinem
stellen soll, die nach Qualität, allein dadurch, dass Inneren lebt.

es ganz als das reife, mit den vollkommensten Wenn ich heute mit einiger Berechtigung diese

Mitteln hervorgebrachte Erzeugnis der Zeit sich Ansichten vorbringen zu dürfen glaube, so kann

erweist, in der es entstanden ist, als der feinste ich es in diesem Zusammenhange deshalb thun, weil

Niederschlag ihrer Kultur. Dann wird es wahr, sie gerade bei den Dresdner Ausstellungen sich

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